Erdogan zeigt alle CHP-Abgeordneten wegen Beleidigung an

Dieser Handshake zwischen Erdogan (li.) und Kilicdaroglu (re.) ist schon länger her - am 7. August, wenige Wochen nach dem Putschversuch.
Dieser Handshake zwischen Erdogan (li.) und Kilicdaroglu (re.) ist schon länger her - am 7. August, wenige Wochen nach dem Putschversuch.APA/AFP/TURKISH PRESIDENTIAL PRE
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Der CHP-Chef hatte Präsident Erdogan als "größte Gefahr" für die Demokratie der Türkei bezeichnet. Dem Präsidenten missfällt eine kritische CHP-Erklärung

Nach regierungskritischen Äußerungen bei einer Versammlung der Oppositionspartei CHP hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Strafanzeige wegen Beleidigung erstattet. Erdogans Anzeige richtet sich gegen alle Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei (CHP), darunter Parteichef Kemal Kilicdaroglu, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag berichtete.

Die CHP ist die größte Oppositionspartei in der Türkei. Die Mitte-Links-Partei beruft sich auf die Prinzipien von Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk, der die strenge Trennung von Staat und Religion verfügt hatte.

Laut Anadolu reichte Erdogans Anwalt Hüseyin Aydin die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Ankara ein. Diese muss nun über die Einleitung von Ermittungen entscheiden.

Bei der von Kilicdaroglu geleiteten Versammlung von CHP-Abgeordneten am Montag war das Vorgehen der türkischen Behörden gegen Regierungsgegner verurteilt worden. Der Parteirat der CHP erklärte, die Regierung sei Schuld am Putschversuch und greife nun die Grundwerte der modernen Türkei an.

"Bedrohung für die Freiheit unseres Volkes"

Die Türkei gehe derzeit durch "einen dunklen und autoritären Coup, der vom Präsidentenpalast ausging", erklärte die CHP. "Die jetzige politische Situation stellt eine ernste Bedrohung für die Freiheit unseres Volkes und die Zukunft unseres Landes dar." Erdogan und die Führung der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP (Gerechtigkeit- und Entwicklungspartei) wurden als "die größte Gefahr" für die Demokratie des Landes bezeichnet werden.

Ankara hatte nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli den Ausnahmezustand verhängt, der den Behörden erweiterte Befugnisse im Kampf gegen mutmaßliche Unterstützer des Putschversuchs gibt. Kritiker werfen der islamisch-konservativen Regierung aber vor, pauschal Regierungskritiker mundtot machen zu wollen. Zehntausende Menschen wurden inzwischen festgenommen oder aus dem Staatsdienst entlassen. Zuletzt lösten die Festnahme von Mitarbeitern der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" ("Republik") sowie der beiden Vorsitzenden und weiterer Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP (Demokratische Partei der Völker) auch in der EU Empörung aus.

Die CHP hatte sich nach dem Putschversuch mit der türkischen Regierung solidarisiert. Parteichef Kilicdaroglu traf Erdogan im Präsidentenpalast und kam zu einer Massenkundgebung, bei der Erdogan auftrat. Daraufhin zog Erdogan Strafanzeigen zurück, die er zuvor gegen den CHP-Chef gestellt hatte.

(APA/dpa)

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