Orbán scheitert wieder im Kampf gegen Quote

Der Premier Ungarns, Viktor Orbán, holte sich eine Abfuhr im ungarischen Parlament.
Der Premier Ungarns, Viktor Orbán, holte sich eine Abfuhr im ungarischen Parlament.(c) APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK
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Fünf Wochen nach dem fehlgeschlagenen Referendum fand der ungarische Premier im Parlament keine Zweidrittelmehrheit gegen die EU-Flüchtlingsquote. Doch innenpolitisch könnte Orbán die Schlappe sogar nützen.

Budapest. Ungarns Premier, Viktor Orbán, scheiterte im Parlament mit einer von ihm persönlich vorgeschlagenen Verfassungsänderung. Seine Regierungspartei (Fidesz) hat keine Zweidrittelmehrheit im Parlament, und niemand wollte helfen. Der Regierungschef, so berichteten Parlamentskorrespondenten, entfernte sich nach der Abstimmung „mit düsterem Gesicht“. Fünf Wochen zuvor war eine von Orbán persönlich angeregte und mit Steuergeldern teuer beworbene Volksbefragung ebenfalls gescheitert. Sie vermochte das Quorum von 50 Prozent nicht zu erreichen und blieb damit ungültig.

Formal ging es bei Referendum und Verfassungsänderung darum, die „Gefahr“ europäischer Zwangsquoten zur Umverteilung von Flüchtlingen abzuwehren. Die Gefahr besteht aber nicht mehr: Auch dank Orbáns Gegenwehr ist das ursprünglich deutsche Konzept politisch gestorben. Abgesehen davon hätte aber weder das Referendum noch eine geänderte Verfassung es vermocht, solche Quoten zu verhindern. Ungarn klagt derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Beschluss des EU-Innenministerrats vom 22. September 2015, bescheidene 120.000 Flüchtlinge verpflichtend auf die Mitgliedsländer zu verteilen.

Am Montag gab es dazu einen Zwischenstand in geschlossener Sitzung des Parlamentsausschusses für EU-Angelegenheiten in Budapest, das Fazit – Teilnehmern zufolge –: In dem Prozess sieht es nicht gut für Ungarn aus. So viel zu dieser Sache, in Wahrheit aber ging es gar nicht darum. Referendum und Abstimmung waren ein raffiniertes innenpolitisches Manöver, um die Flüchtlingskrise als Thema am Leben zu halten. Denn es ist das eine Thema, bei dem Orbán die Wähler hinter sich weiß. Es ging also um Umfragewerte.

Die ganze Schau ist Vorwahlkampf für die nächsten Wahlen im Frühjahr 2018. Und da stellt sich nun die Frage, ob die Niederlagen beim Referendum und bei der Verfassungsänderung eine Schwächung Orbáns bedeuten. War er zu schlau, um klug zu sein? Strauchelt der „starke Mann“? In Brüssel und Berlin scheint man das vielerorts zu hoffen und zu glauben, zumindest waren von dort nach dem ungültigen Referendum Anfang Oktober erleichterte Jubelrufe zu vernehmen. Und tatsächlich sehen zwei Niederlagen in Folge nie gut aus.

Probegalopp für nächste Wahl

Nach Meinung der meisten ungarischen Experten und Thinktanks aber, vom linksliberalen Political Capital bis zum regierungsnahen Nézöpont, schreitet Orbán mit seinen „Niederlagen“ in Wahrheit von Sieg zu Sieg. Besonders die verlorene Abstimmung im Parlament war demnach ein Probegalopp, um das eigentliche Spiel, die nächsten Wahlen, zu gewinnen.

Beim Referendum mobilisierte Orbán eine Million Wähler mehr, als 2014 für ihn gestimmt hatten. Umfragen zeigen, dass trotz des „ungültigen“ Referendums gut 80 Prozent der Ungarn mit Orbáns Flüchtlingspolitik vollkommen einverstanden sind. Die gescheiterte Verfassungsänderung? Die Niederlage erlaubt es Orbán, seine gefährlichste Opposition, die rechte Jobbik-Partei als „Vaterlandsverräter“ zu verunglimpfen, weil sie ihm die Unterstützung versagt hat.

Ihre Wähler sind intensiv migrantenfeindlich eingestellt, also mit Orbán einverstanden. Jobbik hat aber versucht, zu taktieren und eine Gegenleistung für ihre etwaige Unterstützung bei der Abstimmung zu erzwingen. Orbán, so forderte Jobbik, sollte aufhören, reichen Ausländern Aufenthaltsgenehmigungen zu „verkaufen“. Um sich in Ungarn niederlassen zu dürfen, müssen etwa reiche Russen oder Chinesen „nur“ für 300.000 Euro Staatsanleihen kaufen und eine „Gebühr“ von 60.000 Euro entrichten.

Jobbik in der Defensive

Die Regierung will ungarischen Medien zufolge das Programm sowieso bald beenden, aber natürlich wollte man sich von Jobbik nicht erpressen lassen und riskierte lieber die Niederlage bei der Abstimmung.

Der Verlierer könnte am Ende nicht Orbán, sondern tatsächlich Jobbik sein. Der jüngste Durchschnitt aller Meinungsumfragen vom Oktober zeigt einen spektakulären Sprung der sowieso souverän dominanten Regierungspartei, und zwar um fünf Prozentpunkte. Alle Oppositionsparteien verlieren an Rückhalt bei den Wählern. Würde am Sonntag gewählt, bekäme Fidesz demnach mehr als 50 Prozent aller Stimmen, noch mehr als bei den Wahlen 2014 – und damit wohl wieder eine Zweidrittelmehrheit.

AUF EINEN BLICK

Ungarns Regierungspartei Fidesz strebte am Dienstag im Parlament eine Verfassungsmehrheit an, um der von der EU beschlossenen Verteilung von Flüchtlingen einen Riegel vorzuschieben. Doch sie verfehlte die nötige Zweidrittelmehrheit. Die rechtsextreme Jobbik stimmte nicht mit. Sie hatte als Bedingung gestellt, dass sich Ausländer künftig keine Staatsbürgerschaft mehr kaufen dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)

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