Die Herausforderungen in den kommenden vier Jahren sind groß: von den Schulden bis zu den Freihandelsabkommen.
Wien/Washington. Es war eine legendäre und möglicherweise wahlentscheidende Frage, die Ronald Reagan 1980 den Zusehern in der letzten TV-Debatte vor der US-Präsidentschaftswahl stellte: „Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?“ Nein, den Amerikanern ging es nicht besser als 1976, als Jimmy Carter Präsident wurde. Auch deswegen verlor der demokratische Amtsinhaber gegen den Schauspieler aus Kalifornien, der von 1981 bis 1989 Präsident der USA war.
Barack Obama könnte entspannt sein, denn den US-Amerikanern geht es 2016 deutlich besser als noch 2009, als der Demokrat mitten in der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren ins Weiße Haus eingezogen ist: Die Arbeitslosigkeit ist derzeit mit 4,9 Prozent so gering wie zuletzt vor 40 Jahren, die Wirtschaft wächst seit Jahren stärker als in Europa. Doch das Wachstum steht auf einem wackligen Fundament, und das wird schon die erste Herausforderung für den neuen US-Präsidenten sein.
Staat mit Rekordschulden
Der Staat hat das wirtschaftliche Wachstum auch mit immer neuen Schulden finanziert. Sie liegen aktuell bei der Rekordsumme von 19,8 Billionen Dollar. Sie sind aufgrund der niedrigen Zinsen zu bewältigen, wenn diese allerdings anziehen, wird es für die USA kritisch: Dann muss das Geld für die Zinszahlungen an anderer Stelle eingespart werden.
Der Schuldenberg nimmt enorme Ausmaße an – 66 Billionen Dollar –, wenn man die Verbindlichkeiten der Kommunen, amerikanischen Unternehmen und Privathaushalte dazuzählt. Diese Schulden hemmen nicht nur das wirtschaftliche Wachstum, für viele Familien sind sie eine massive Existenzbedrohung: Die Hälfte der US-Haushalte lebt derzeit von Monat zu Monat ohne finanzielle Reserve. Leichte Schwankungen genügen, und sie gehen über die Klippe. Ein nicht zu unterschätzendes Problem sind auch die Schulden der Studenten: 76 Prozent verlassen die Universität mit hohen Schulden, insgesamt sind es 1,3 Billionen Dollar. Geld, das für den für die US-Wirtschaft so wichtigen Konsum fehlt.
Was passiert mit TTIP?
Entscheidend wird sein, wie die US-Notenbank künftig agiert. Sie hat vor einem Jahr begonnen, den Leitzins anzuheben, bei ihrer jüngsten Sitzung beließ sie ihn aber bei 0,25 bis 0,50 Prozent. Damit hat die Fed auch ein wenig Spielraum, sollte das Wachstum im kommenden Jahr stagnieren oder gar zurückgehen, was manche Experten fürchten. Aufgrund des Brexit und der wackligen Haushalte einiger europäischer Staaten könnte eine neue Rezession drohen.
Aus europäischer Sicht besonders interessant ist die Zukunft des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP). Beide Kandidaten haben sich im Wahlkampf skeptisch gezeigt, auch wenn die politische Vergangenheit Hillary Clinton als Anhängerin des Freihandels zeigt (ihr Ehemann, Bill Clinton, hat 1994 als US-Präsident das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta realisiert). Neben TTIP steht auch der Transpazifische Pakt TPP (unter anderem mit Australien, Japan, Singapur) auf der Kippe. Beide Kandidaten waren im Wahlkampf strikt gegen das Abkommen, dabei benötigen die USA dringend neue und leichter zugängliche Märkte für ihre Wirtschaft.
Doch auch in den Vereinigten Staaten gilt, dass die Realität nach einer Wahl oft eine andere als in einem Wahlkampf ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)