Wie Trump alle Prognosen über den Haufen warf

Nicht nur die Demokraten sind die Verlierer dieser US-Wahl, sondern vor allem auch die Meinungsforschungsindustrie.

Es ist nicht so lang her, als mir ein Journalist in einem Wiener Kaffeehaus erklärte, dass angesichts des Brexit-Votums in Großbritannien alle unsere bisherigen konventionellen politischen Prognoseinstrumentarien mit Vorsicht zu genießen seien. Weite Teile der gesellschaftlichen Elite des Vereinigten Königreichs aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst hatten sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen, auch praktisch alle Meinungsumfragen hatten in diese Richtung hingedeutet. Aber ungeachtet dessen entschied sich die britische Wählerschaft mehrheitlich trotzdem für den Austritt.

Eine in den USA häufig gestellte Frage lautete deshalb: Ist die amerikanische Meinungsforschungsindustrie besser aufgestellt als die in Großbritannien? Betrachten wir noch einmal die Ausgangssituation dieser Präsidentschaftswahl. Im Sommer lag Hillary Clinton in den Umfragen um bis zu 20 Prozent vor Donald Trump, und bis am Dienstag hatte sie die meiste Zeit über im Rennen um das Weiße Haus die Nase vorn.

Zweifache Entfremdung

Zuletzt war ihr Vorsprung wieder geschrumpft, aber die meisten Umfragen sahen sie doch als wahrscheinliche Siegerin. Clinton hatte das größere Wahlkampfbudget, und der amtierende Präsident, Barack Obama, hat sich im Wahlkampf intensiv für sie eingesetzt. Und trotzdem fuhr Trump am 8. November einen Sieg ein, gewann nicht nur die Mehrheit der Wahlmänner, sondern auch der Wähler (im popular vote).

Zudem verteidigten die Republikaner ihre Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat. Bis zur Kongresszwischenwahl in zwei Jahren liegt damit die Macht fest in republikanischer Hand – wie geeint oder zerstritten die Grand Old Party auch sein mag. Also: Offenkundig ist die amerikanische Meinungsforschungsindustrie nicht besser als die britische – oder halt genauso schlecht.

Eine Standardformel war früher oft, dass die Arbeiterklasse links und die Mittelschichten konservativ wählen. Aber hier lässt sich eine Transformation erkennen, gleichsam eine Doppelbewegung der zweifachen Entfremdung.

An einem Ende des Spektrums findet eine Entfremdung zwischen der Arbeiterklasse und den traditionellen Linksparteien statt – vor allem dort, wo sich die Arbeiter als Modernisierungsverlierer sehen. Am anderen Seite des politischen Spektrums sehen wir eine Entfremdung zwischen der (akademisch) gebildeten Mittelschicht und der Neuen Rechten. Das Ergebnis dieser beiden Entfremdungsprozesse ist, dass die Arbeiterklasse überwiegend rechts und die Mittelschicht eher links wählt – zumindest häufig genug, um wahlentscheidend zu sein.

Was aber rechtspopulistische Parteien in den Reihen der Arbeiterklasse an Stimmen gewinnen, müssen sie aufpassen, bei den Mittelschichten nicht wieder zu verlieren – sonst wäre es ein Nullsummenspiel. Das ist eine These der modernen politischen Wahlarithmetik, die natürlich nicht immer stimmt und in jeder Wahl konkret neu geprüft werden muss.

Männliche weiße Wähler aus den Arbeitermilieus waren die wichtigste Wählergruppe für Trump. Hier konnte er die meisten Stimmen mobilisieren. Wahlgeografisch verlor Clinton wiederum am meisten in den sogenannten Rust-Belt-States im Nordosten der USA. Die Bundesstaaten, die sie unbedingt hätte halten müssen, waren Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. Hier gewannen demokratische Bewerber früher oft, aber gerade hier fuhr Clinton ihre bittersten Niederlagen ein.

Links-rechts-Schwingungen

Obwohl unsere konventionellen politischen Prognoseinstrumentarien angeschlagen sind, ist es nicht so, dass sich gewisse Wahrscheinlichkeiten für politische Prozesse nicht mehr behaupten lassen. Beispielsweise wurde für Westeuropa statistisch berechnet, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Regierungspartei, bei der nächsten Wahl zu verlieren, größer ist als zu gewinnen.

Es ist der Mechanismus von Regierung-Opposition-Zyklen in den Demokratien, der letztlich auch das Phänomen politischer Links-rechts-Schwingungen produziert. Deshalb kann das amerikanische politische System – und das wird es auch zukünftig tun – so völlig unterschiedliche politische Führer hervorbringen wie Barack Obama und Donald Trump.

Vor dem Hintergrund dieser größeren Analyse ist auch die (letztlich zutreffende) Aussage von Professor Allan J. Lichtman von der American University zu sehen: Basierend auf historisch abgeleiteten Kriterien prognostizierte er einen Wahlsieg für Trump: „Predicting the Next President – The Keys to the White House 2016“.

Bruch aller Konventionen

Donald Trump wurde in ein ökonomisch privilegiertes Milieu hineingeboren. In dieser Hinsicht ist er als ein Mitglied der ökonomischen New Yorker Oberschicht sozialisiert worden. Und er nutzte seine wirtschaftliche Karriere, um sich via Medien Dauerpräsenz in der amerikanischen Öffentlichkeit zu verschaffen.

Aber in der Politik ist er ein Quereinsteiger, der bisher keinerlei bedeutende Ämter innehatte. Er brach im Wahlkampf auch mit sämtlichen Konventionen. Er veröffentlichte keine Steuererklärung, und die Behauptung steht im Raum, dass er jahrelang keine oder nur sehr geringe Einkommensteuern zahlte, weil er die Verluste in seinen Geschäften geschickt absetzen konnte. Auch veröffentlichte er keine seriösen Berichte zu seinem Gesundheitszustand.

Und Trump entschuldigte sich auch nicht oder nur verhalten für die Art und Weise seiner politischen Rhetorik. Die Radikalität seiner Sprache war es auch, die in manchen Gesellschaftsschichten auf scharfe Kritik stieß, in anderen hingegen als erfrischend empfunden wurde. Dies, obwohl er die Grenzen zu Sexismus und Ausländerfeindlichkeit wiederholt in geschmackloser Weise überschritt.

Was seine Agenda als nächster Präsident sein wird, das bietet viel Raum für Spekulationen. So wird sich zeigen, ob und wie sich ein Superreicher tatsächlich für die Interessen der vernachlässigten Arbeiterschaft einsetzen wird.

Durchmarsch des Außenseiters

Die Vorwahlen sind in den beiden großen Parteien der USA eine sensible Phase. Kann sich in diesem Auswahlprozess ein Außenseiter durchsetzen, ist das eine wichtige Vorhersagevariable für den späteren Wahlverlauf. Trump war eindeutig der Außenseiter – teilweise gegen das republikanische Parteienestablishment und gegen konventionelle politische Prognosen.

Hier findet sich möglicherweise auch eine der Schwachstellen bei den Demokraten. Laut gehackten E-Mails stand das demokratische Parteienestablishment immer fest hinter Clinton. Vielleicht hätte es einfach Bernie Sanders eine faire Chance geben sollen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. David F. J. Campbell (geboren 1963 in Wien) ist Forscher am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Privatdozent für Vergleichende Politikwissenschaft an der Uni Wien, Mitarbeiter für Universitäts- und Qualitätsentwicklung an der Universität für angewandte Kunst Wien. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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