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In the Tower of Song: Leonard Cohen ist tot

Canadian singer-songwriter Leonard Cohen performs at the Coachella Music Festival in Indio
Canadian singer-songwriter Leonard Cohen performs at the Coachella Music Festival in IndioREUTERS
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„I'm ready, my Lord“, sang er auf seinem letzten Album: Leonard Cohen, der große jüdisch-kanadische Dichter und Sänger, ist mit 82 Jahren gestorben. Er hinterlässt einige der tiefsten, sehnsüchtigsten, schönsten Lieder des Pop.

You want it darker, we kill the flame“, sang Leonard Cohen im tiefsten Register, fast tonlos, begleitet vom Chor der Synagoge seiner Heimatstadt Montreal, im Titelsong seines letzten, erst vor einem Monat erschienenen Albums, und: „Hineni, I'm ready, my Lord.“ Es sollte sein eigenes Totenlied werden. Und man kann ohne Frömmelei sagen: Der große jüdisch-kanadische Sänger, der so viele, auch geistliche Wanderungen hinter sich hatte, der fünf Jahre schweigend als buddhistischer Mönch gelebt hatte, ist im Glauben seiner Väter gestorben.

Die vielen Menschen, die mit Cohens Liedern gelebt haben und leben, werden jetzt wohl diesen letzten Song auflegen, oder sein wunderbares „Hallelujah“. Vielleicht auch, etwas weltlicher, „Bird on the Wire“, mit den Zeilen wie ein Epitaph: „Like a bird on a wire, like a drunk in a midnight choir, I have tried in my way to be free.“ Oder den Refrain von „Anthem“, der knapp fasst, worüber der Sänger Leonard Cohen auf 14 Studioalben gesungen hat: „There is a crack in everything, that's how the light gets in.“

Abschied: „So Long, Marianne“

Er hatte schon mit 13 zur Gitarre gegriffen – um Mädchen zu beeindrucken, wie er selbst sagte –, doch dann wurde er erst Schriftsteller, schrieb zwei Romane („The Favourite Game“, „Beautiful Losers“) und etliche Gedichtbände („Flowers for Hitler“, „Let Us Compare Mythologies“). So paradox es klingen mag: Erst als er seine Zeilen zu Liedern band, sie mit seiner abgründigen Stimme sang, sie mit seinen erstaunlichen Gitarrenkünsten begleitete, wurden sie zu großer Lyrik. Gleich auf den „Songs of Leonard Cohen“ (1967) fanden sich „Suzanne“ über eine weise Närrin (mit der zweiten Strophe über Jesus, den Seemann, der sich als „almost human“ erweist), „Sisters of Mercy“ über die Gnade und Erlösung in der erotischen Liebe, „So Long, Marianne“ über eine der Frauen, die sein Leben begleiteten. Sie hatte er einst auf der griechischen Insel Hydra kennengelernt; als sie ein halbes Jahrhundert später, im Sommer 2016, im Sterben lag, schickte Cohen ihr einen Abschiedsbrief, schrieb ihr, dass er sie ganz bald sehen werde: „In dem Wissen, dass ich so nah bei dir bin, kannst du deine Hand ausstrecken, und ich denke, du wirst meine erreichen.“

„Death of a Ladies' Man“

Ja, er war ein Mann der Frauen, und viele werden jetzt versucht sein, die Gedanken an ihn unter den Titel zu stellen, den er 1977 seiner vielleicht seltsamsten, von Phil Spector wild überinstrumentierten Platte gab: „Death of a Ladies' Man“. Im Titelsong sagt die Frau: „The art of longing's over, and it's never coming back.“ Die Kunst des Verlangens, Cohen hat sie bis in sein hohes Alter gekannt. Eine seiner späten Geliebten soll ihm einmal bekannt haben, dass sie seine Lieder sehr gut kenne: Ihre Mutter habe sie einst damit in den Schlaf gesungen. „Women have been exceptionally kind to my old age“, sang er in „Because Of“ (2004), „They become naked in their different ways, and they say: ,Look at me, Leonard, look at me one last time.‘ Then they bend over the bed and cover me up like a baby that is shivering.“

Es war wohl das Bild des alten Königs David, der sich von einem jungen Mädchen wärmen lässt, das ihm hier vor Augen trat. Den jungen David hatte er ja in „Hallelujah“ beschworen, und den geheimen Akkord, den David spielte, der dem Herrn gefiel. Diese Gnade schrieb und sang sich Cohen auch selbst zu, in „Tower of Song“ etwa: „I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice.“

Mit dieser goldenen Stimme brachte Leonard Cohen Ruhe und Abgeklärtheit in die aufgewühlte Generation der Endsechziger – man höre nur die Aufnahme von der Isle of Wight 1970, wo er eine völlig aufgebrachte Festivalmenge beruhigt und fesselt, aber auch bittere Leidenschaft. Vor allem die „Songs of Love and Hate“ (1971) bestürzen in ihrer wilden Düsternis: An den Abgründen von „Avalanche“ mussten sich alle seiner Schüler messen, nicht zuletzt Nick Cave; in „Sing Another Song, Boys“ war er selbst der Trunkenbold im Mitternachtschor; in „Joan of Arc“ fand er sich seine Heilige und las in ihren Augen: „Myself, I long for love and light, but must it come so cruel, and oh so bright?“

„A man still working for your smile“

Es musste. In „Famous Blue Raincoat“, dem gesungenen Brief an einen erfolgreichen Nebenbuhler, voller verschluckter Tränen. In „Nancy“, gewidmet einer Freundin, die tot, die Waffe neben ihr, gefunden wurde: Sie habe mit allen geschlafen, sang Cohen, „but none of us could meet her in the house of mystery“. In „Chelsea Hotel #2“, einer Erinnerung an Janis Joplin, mit der er in jenem Hotel eine Nacht verbracht hatte.

So radikal persönlich Cohen sein konnte, manche seiner Songs trafen den politischen Nerv seiner Generation – und den seiner Hörer. Die „Story of Isaac“ etwa: die biblische Geschichte, interpretiert als Anklage an die Alten, die die Jungen (im Krieg) opfern wollen. Oder, viel später, „The Future“, in dem er sich einmal dem bösen, zynischen Pessimismus ergab: „Give me back the Berlin wall, give me Stalin and St Paul, I've seen the future, brother: It is murder.“

Auch diesen Song hatte er im Programm, als er sich 2008 nach langer Pause wieder auf Tournee begab. Zunächst aus finanzieller Not – seine Managerin hatte sein Vermögen veruntreut –, doch schnell wurde es ein triumphaler Zug eines weisen, alten Sängers, der Nacht für Nacht alles gab, bis zur „Closing Time“, dann zurückkam, mit „I Tried to Leave You“, mit den letzten Zeilen: „Here's a man still working for your smile.“ Doch er kam oft noch einmal, selbst lächelnd, mit „Save the Last Dance for Me“. Und wenn er sich mit Worten von seinem Publikum verabschiedete, dann so: „At the risk of offending an atheist: God bless you.“ In diesem Sinn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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