Europa sorgt sich um Trumps Bündnistreue

Anti Trump Protest Berlin Proteste in Berlin gegen die Wahl von Donald Trump zum Pr�sidenten der USA
Anti Trump Protest Berlin Proteste in Berlin gegen die Wahl von Donald Trump zum Pr�sidenten der USA(c) imago/Christian Mang (imago stock&people)
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Die EU-Außenminister berieten in Brüssel über die Folgen von Trumps Sieg. Nato-Generalsekretär Stoltenberg mahnt die USA, und London hofft bereits auf eine besondere Liaison.

Brüssel/London/Washington. Als EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ihre europäischen Kollegen für Sonntagabend zu einem Krisendinner nach Brüssel einlud, blieben ein paar Sitze leer. Mogherini wollte gemeinsam mit den EU-Außenministern über die Folgen der US-Wahl für Europa beraten. Aus London erhielt sie eine Absage. Der britische Außenminister, Boris Johnson, sehe keine Notwendigkeit für ein solches Treffen, hieß es. Fern blieb auch Ungarns Péter Szijjártó. Denn in Budapest ist man nicht in Krisenstimmung, sondern jubelt über das Ende der „Ära der liberalen Nichtdemokratie“, wie der ungarische Premier, Viktor Orbán, nach Trumps Sieg erklärte. Noch einer fehlte: Der französische Außenminister, Jean-Marc Ayrault, besuchte die Gedenkfeierlichkeiten am ersten Jahrestag der islamistischen Anschläge in Paris (siehe Seite 4).

Seit Donald Trump in der Vorwoche zum neuen US-Präsidenten gewählt wurde, herrscht in vielen europäischen Hauptstädten Besorgnis über die Zukunft des Verhältnisses zu Washington. Macht Trump seine isolationistische Politik wahr, wäre Europa mehr denn je auf sich allein gestellt – und das in seiner schlimmsten Krise. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist Trumps Triumph „Warnung und Weckruf zugleich“. Für Deutschland könnte er noch mehr europäische Verantwortung als bisher bedeuten.

Erneut Ruf nach einer EU-Armee

Auch die europäische Sicherheitsarchitektur droht, gefährliche Risse zu bekommen, sollte der Polit-Frischling die US-Militärpräsenz in Europa tatsächlich reduzieren. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte Trump mit deutlichen Worten zur Bündnistreue. „Es ist nicht an der Zeit, den Wert der Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten infrage zu stellen“, schrieb er im „Observer“. Deutschlands Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, wiederholte ihren Ruf nach dem Aufbau einer EU-Armee. „Die Nato kann sich nicht um alle Aspekte unserer Sicherheit kümmern“, sagte sie.

Angesichts des aggressiven Kurses der Kreml-Führung und des Chaos im Nahen Osten herrscht unter Euroatlantikern Alarmstufe Rot. Euphorisch gestimmt sind hingegen Europas EU-Skeptiker. Frankreichs Marine Le Pen hofft, dass ihr Trumps Sieg beim Präsidentschaftswahlkampf 2017 hilft. Und Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, der Trump im Wahlkampf unterstützte, stattete dem Sieger am Samstag gar einen Besuch im Trump-Tower in Manhattan ab. Das Treffen soll mehr als eine Stunde gedauert haben. „Er war entspannt und voller guter Ideen“, twitterte Farage danach.

Während das offizielle London nach außen hin Farages Begeisterung nicht teilt, scheint man nichtsdestoweniger bereits auf ein besonderes Verhältnis zwischen Washington und London hinzuarbeiten. In einem geleakten Telegramm, das die „Sunday Times“ veröffentlichte, schreibt der britische Botschafter in Washington: „Trump ist vor allem ein Außenseiter [. . .], und er ist offen für äußeren Einfluss, wenn er richtig artikuliert wird. Wir sollten uns dazu in eine gute Position begeben.“ Auch der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer (FPÖ) sprach von einer Einladung zu einem Trump-Besuch, die der republikanische Kongressabgeordnete Steve King ihm gegenüber ausgesprochen habe. Kontakte seinerseits zum Team rund um Trump bestünden bereits. So sei etwa eine FPÖ-Delegation in der Wahlnacht im Trump-Tower in New York zugegen gewesen.

In einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ vermied Trump eine Antwort auf die Frage, ob er einen Sonderstaatsanwalt für Ermittlungen in der E-Mail-Affäre um seine unterlegene Rivalin, Hillary Clinton, einsetzen werde. Das hatte er im Wahlkampf angekündigt. „Es ist nichts, über das ich besonders nachgedacht habe“, sagte Trump. Als vorrangig nannte er neben der Krankenversicherung die Themen Einwanderung, Grenzsicherheit, eine Steuerreform und Deregulierung im Finanzwesen. Doch auch bei Obamacare scheint er nun zu Kompromissen bereit zu sein.

Clinton beschuldigt FBI-Chef Comey

Clinton machte indes das Vorgehen von FBI-Direktor James Comey in der E-Mail-Affäre zumindest zum Teil für ihre Niederlage verantwortlich. Dem Sender CNN zufolge sagte sie, der Chef der Bundespolizei habe ihr einen „Doppelschlag“ verpasst, indem er am 29. Oktober die Einleitung neuer Untersuchungen publik gemacht und dann kurz vor der Wahl bekannt gegeben habe, dass nichts Belastendes gefunden worden sei. (ag./som)

AUF EINEN BLICK

Am Sonntagabend lud EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini die EU-Außenminister zu einem Krisentreffen. Thema: das Verhältnis zwischen den USA und Europa nach dem Sieg von Donald Trump bei den Präsidentenwahlen. Nicht alle Kollegen folgten ihrem Aufruf. In mehreren europäischen Hauptstädten hoffen Euroskeptiker auf „besondere Beziehungen“ zu dem siegreichen Politiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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