Brexit: Das Tal der Tränen kommt erst noch

Im kommenden Jahr geht es mit dem britischen Wirtschaftswachstum abwärts.
Im kommenden Jahr geht es mit dem britischen Wirtschaftswachstum abwärts.(c) dpa/Friso Gentsch
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Laut dem österreichischem Handelsdelegierten in London, Christian Kesberg, hat die britische Wirtschafts das "Rendezvous mit der Wirklichkeit" noch vor sich.

Der "Marmite"-Krieg war ein erster Vorgeschmack darauf, was auf die Briten im Zuge des EU-Ausstiegs noch so alles zukommt: Im Spätsommer gab es einen landesweiten Aufschrei, weil der dort so beliebte Hefe-Brotaufstrich in den Regalen knapp wurde. Hintergrund war ein Preiskrieg zwischen der Supermarktkette Tesco und dem niederländischen Zulieferer Unilever, der mittlerweile beigelegt wurde.

"Dieses Rendezvous mit der Wirklichkeit kommt nächstes Jahr. Deshalb ist die Premierministerin (Theresa May, Anm.) auch so zurückhaltend", sagte der österreichische Handelsdelegierte der Wirtschaftskammer Österreich in London, Christian Kesberg, heute, Montag, vor Journalisten in Wien. "Das nächste Jahr wird ein Tal der Tränen." Heute wisse man zwar noch immer nicht mehr über die Brexit-Auswirkungen als im Juni, aber soviel scheint sicher: "Wirtschaftlich wird es den Briten schaden - wie sehr, weiß der Kuckuck", so der Wirtschaftsdelegierte.

2017 droht BIP-Talfahrt

Heuer soll die britischen Wirtschaft diversen Prognosen zufolge noch um 1,6 bis 1,8 Prozent wachsen - das ist aber auch schon deutlich schwächer als 2015 (plus 2,3 Prozent). Doch schon im nächsten Jahr könnten nur noch 0,6 Prozent drinnen sein, statt 2 Prozent. "Laster haben einen langen Bremsweg", betonte Kesberg. Spätestens 2017 ist es dann soweit. Es könnte zu einem Stillstand kommen.

Die EU-Austrittsverhandlungen starten im März 2017 und werden sich vorerst einmal über zwei Jahre hinziehen. Für die Wirtschaftstreibenden bedeutet das also auch im kommenden Jahr vollkommene Unsicherheit und auch Verunsicherung. "Die Investitionsnachfrage wird sinken, die Konsumnachfrage wird sinken, die Inflation wird steigen und die Arbeitslosigkeit auch", erwartet der Wirtschaftsdelegierte.
Es sind noch zu viele Fragen offen, um exakte Vorhersagen machen zu können. "Großbritannien fällt nicht vom Stuhl, doch 2016 bis 2020 wird die Wirtschaft kumuliert nur um rund 5 Prozent, statt um 10 Prozent ohne Brexit, wachsen", sagte der Handelsdelegierte unter Berufung auf Konjunkturforscher. Großbritannien werde "ein Österreich von 2012 bis 2016" sagte er mit dem Nachsatz "-vielleicht, eventuell und etc., denn niemand weiß, was wirklich passieren wird". Österreich hatte auch jahrelang ein Wirtschaftswachstum von nur 1 Prozent ausgewiesen.

Jedes 3. Unternehmen bremst Investitionen

Jedes dritte britische Unternehmen hat einer Umfrage zufolge wegen Sorgen um den Brexit Investitionen verschoben oder gestrichen. Das ergab eine am Montag veröffentlichte Erhebung des Meinungsforschungsunternehmens YouGov in Zusammenarbeit mit der Beratungsgesellschaft CEBR und der Finanzgesellschaft Hitachi Capital.
Bei der Befragung von 1015 Managern Ende Oktober und Anfang November zeigte sich demnach, dass 33 Prozent der Firmen bei den Investitionen auf die Bremse treten.
CEBR und Hitachi Capital bezifferten das Gesamtvolumen der verschobenen Ausgaben und abgesagten Projekte auf 65,5 Milliarden Pfund (76,1 Milliarden Euro). Dabei stützten sie sich neben der Umfrage auf öffentlich verfügbare Daten zu Unternehmen in Großbritannien.

Als konkrete Gründe für die Verschiebung und Absage von Investitionen nannten die befragten Manager den Angaben zufolge an erster Stelle den Absturz der britischen Währung sowie die Erwartung einer steigenden Inflationsrate. Häufig angeführt wurden auch die Unsicherheit in Bezug auf den künftigen Zugang des Landes zum europäischen Binnenmarkt und das Risiko einer Konjunktureintrübung in Großbritannien.

Besonders verbreitet war das vorsichtigere Vorgehen demnach bei großen Unternehmen (42 Prozent) und mittelgroßen Firmen (44 Prozent). Dagegen verschoben oder stoppten lediglich 23 Prozent der kleineren Unternehmen ihre Investitionspläne. Diese Firmen seien weniger von Exportmärkten abhängig, hieß es dazu in der Auswertung.

(APA/AFP)

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