Die Armen auf Abwegen: Warum Europas Rand prorussisch wählt

Die Eliten in Bulgarien und Moldau haben den Sieg von Antieuropäern mitbefördert. Es reicht nicht, dass Europa auf das Versagen der Populisten hofft.

Normalerweise ist eine Präsidentenkür am östlichen Rand Europas kein Ereignis, das Politiker von internationalem Rang und Analysten beschäftigt. Seit Sonntagabend aber sind die Augen auf Chişinau und Sofia gerichtet. Denn die Stichwahl für das Amt des Staatschefs entschied sowohl in der Republik Moldau als auch in Bulgarien ein Kandidat mit prorussischer Orientierung für sich: Igor Dodon in Moldau, Rumen Radew in Bulgarien. Nach dem Triumph der EU-Skeptiker bei der Volksabstimmung in den Niederlanden, nach dem britischen Ja zum Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bestätigen Wähler an der Ostgrenze der EU den Populismustrend.

Auch hier hat eine knappe Mehrheit für eine Politik gestimmt, die die Einheit Europas angreift und nationale Sonderwege präferiert, eine Politik, die sich gegen Globalisierung, weltweiten Wettbewerb und Migration abschotten will und mit dem aktuellen russischen Herrschaftsmodell liebäugelt. Da neben dem stets gemäßigt EU-phorischen Österreich auch in EU-Kernnationen wie Frankreich und Deutschland ähnliche Wahlergebnisse drohen, sind die viel gescholtenen Eliten – zu Recht – beunruhigt und besorgt.


Es wäre zu kurzsichtig, für das Wahlergebnis nur die Desinformationskampagne des Kreml verantwortlich zu machen. Um nicht missverstanden zu werden: Diese gibt es. Wer einmal Berichte des russischen Staats-TV über die moldauischen Bürgerproteste im Sommer 2015 gesehen hat, wer gehört hat, wie diese als „Maidan“ (Kreml-Speak für Chaos und Verbrechen) verunglimpft wurden, der weiß um Einfluss und Narrativ der russischen Medienmacht in diesem zerrissenen Land und anderswo.

Doch für das Votum der Bulgaren und das äußerst knappe Votum der Moldauer gibt es auch hausgemachte Gründe. Man sollte sie nicht unterschlagen. Nach fast einem Jahrzehnt EU-Mitgliedschaft hat Bulgarien keine nachhaltige Wirtschaftsperspektive. Premier Bojko Borissow reitet als Balkansheriff seit Jahren auf dem populistischen Gaul; jetzt ließ er sich bereitwillig aus dem Sattel werfen. Noch lang vor der ungarischen Mauer baute Sofia einen Antimigrantenwall zur Türkei, und noch in diesem Sommer gingen selbst ernannte Flüchtlingsjäger in den Grenzgebieten auf Menschenjagd. Die Exzesse am südöstlichen Rand der EU erregten anders als in Ungarn kein besonderes Aufsehen. Dazu kam Borissows schwache Kandidatin, was den nahezu unbekannten Militär umso attraktiver erscheinen ließ, der mit Antimigrantensprüchen auf Stimmenfang ging.

Noch tragischer ist der Fall der Republik Moldau, deren EU-Assoziierungsabkommen erst unlängst in Kraft getreten ist. Hier geht die Niederlage der europäischen Option klar auf das Konto der nur dem Label nach prowestlichen Regierung. Anstatt den Bürgern Good Governance zu demonstrieren, verstrickte sie sich in einem Netz dunkler Machenschaften, Korruption und Machtgier. Proeuropäische Politik ist in der Moldau heute bei vielen diskreditiert. Sollte in Parlamentsneuwahlen das prorussische Lager gewinnen, könnte das Land nach Osten abdriften und seine europäische Annäherung auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen – eine apokalyptische Vision für die junge Generation.


Gemein ist den Siegern in der Republik Moldau, Bulgarien und anderswo die prorussische Rhetorik. Sie besitzt trotz (wegen?) Moskaus Krim-Annexion und Intervention in der Ostukraine eine unglaubliche Sogwirkung. In Ost und West sind Putin-Anbeter eine Gemeinschaft der Unzufriedenen, seltsam vereint in ihren disparaten Anliegen: Einmal ist es die verhasste Political Correctness, einmal Antiamerikanismus, einige wollen traditionelle Werte hochhalten, andere wiederum trauern nostalgisch ihrer unbeschwerten Jugend nach – und viele, viele sehnen sich nach Stabilität, nach „früher“.

Mit dem Versprechen nach diffuser Stabilität lassen sich Wahlen gewinnen. Beim Regieren haben Populisten verschiedener Couleur bisher wenig Geschick bewiesen. Doch für Europa reicht es nicht mehr, auf ihr Versagen zu hoffen. Es muss aus Fehlern lernen und sich erneuern, bevor es zusammenbricht.

E-Mails an:jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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