ÖVP warnt: Freibrief für Kassen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Umsetzung des Finanzausgleichs könnte als Nebeneffekt eine Systemumstellung bringen: Statt Ärzten kommen Gesundheitszentren.

Wien. Die Einigung zum Finanzausgleich sorgt für Nachwehen im Gesundheitsbereich. Nicht nur die Ärztekammer wehrt sich gegen die paktierten Maßnahmen wie die „Kostendämpfung“ und die Einführung der Primärversorgungszentren, auch ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger hat schwere Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Umsetzung der 15a-Vereinbarung.

In einem Mail an Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Klubchef Reinhold Lopatka, das der „Presse“ vorliegt, beschwert sich Rasinger über die „juristisch grottenschlechte Umsetzung“ der Vereinbarung. 35 Seiten kompliziertester Gesetzestext seien den Abgeordneten am Donnerstag hingeknallt worden, die bis heute, Dienstag, durchgewinkt werden sollten. „Vom parlamentarischen Prozess keine Spur“, so die Kritik des Abgeordneten.

Gegenüber der „Presse“ übt Rasinger auch heftige Kritik am Inhalt des Entwurfs. In dem Gesetzestext seien Änderungen enthalten, die zu einer Systemumstellung führen und den Vertrag zwischen Sozialversicherung und Ärztekammer aushebeln könnten. Konkret sei es damit möglich, dass die jeweilige Gebietskrankenkasse und das Bundesland im Alleingang beschließen, eine frei gewordene Stelle nicht mehr mit einem niedergelassenen Arzt bzw. Facharzt zu besetzen, sondern mit einem Institut, also einer Ambulanz oder einem Versorgungszentrum. Das betrifft nicht nur die geplanten Primärversorgungszentren, laut Rasinger hätten die Kassen „den Freibrief“, dies bei sämtlichen Ärztestellen zu machen.

An die Wand gedrückt

Der wesentliche Unterschied: Die Institute werden nicht von der Ärztekammer vertreten, sondern von der Wirtschaftskammer. Folglich gilt auch die mit der Ärztekammer abgeschlossene Honorarvereinbarung nicht, die Sozialversicherung könne mit jedem Einzelnen einen eigenen Vertrag abschließen.

Ärzte, die ein derartiges Zentrum betreiben, könnten damit von der Krankenkasse „an die Wand gedrückt“ werden, befürchtet Rasinger. Und er befürchtet auch, dass langfristig internationales Finanzkapital in der medizinischen Versorgung dominiert – und nicht die Interessen der Patienten im Blickfeld hat.

Ärztekammer verhandelt

Jedenfalls sei der Gesetzestext ein Rückschritt gegenüber dem, was bei den Primärversorgungszentren schon ausgehandelt wurde. Da wurde nämlich vereinbart, dass diese Zentren, die durch lange Öffnungszeiten und Zusammenarbeit mehrerer Mediziner und anderer Gesundheitsberufe eine Alternative zu den Spitalsambulanzen werden sollen, zuerst den bestehenden Ärzten anzubieten seien.

Im Gesundheitsministerium wird die Befürchtung Rasingers dementiert: Der Stellenplan werde zwar von Sozialversicherung und Land vorgegeben, die Umsetzung werde aber weiterhin mit der Ärztekammer verhandelt, so ein Sprecher von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ).

Oberhauser weist auch die Kritik der Ärztekammer zurück, wonach der Finanzausgleich zu Einsparungen im Gesundheitswesen in der Höhe von 4,5 Milliarden Euro führen würde. „Es gibt keine Einsparungen, ganz im Gegenteil: Laut beschlossenem Ausgabenpfad können die Gesundheitsausgaben im Jahr 2021 um 4,6 Mrd. Euro höher sein als heute“, so die Ministerin.

Erstmals gebe es eine vertraglich fixierte Finanzierungszusage der Länder und der Sozialversicherungen für einen Ausbau der Primärversorgung, nämlich zweckgewidmete 200 Millionen Euro. „Damit kommen wir dem Ziel, den Spitalsbereich zu entlasten und die ambulante und niedergelassene Versorgung auszubauen, einen großen Schritt näher“, meinte Oberhauser.

ZUR PERSON

Erwin Rasinger. Der ÖVP-Politiker ist seit 1994 Abgeordneter im Nationalrat und Gesundheitssprecher der Volkspartei. Daneben arbeitet er als praktischer Arzt in Wien. Rasinger befürchtet eine Aushebelung der Honorarvereinbarung durch die Krankenkassen. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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