In der Ex-Sowjetrepublik wird der prorussische Kandidat Präsident – doch die Regierung bleibt vorerst proeuropäisch.
Chişinau. „Sozialisten in den Müll!“ und „Wir fordern Gerechtigkeit!“ skandieren Hunderte von Menschen. Rund 2000 Demonstranten zogen Montagmittag in der moldauischen Hauptstadt, Chişinau, mit einer riesigen Flagge zuerst vor das Parlament und dann vor die rund einen Kilometer entfernte Zentrale Wahlkommission. Dort forderten sie eine Wiederholung der Präsidentenwahlen; das Votum vom Sonntag sei gefälscht worden.
Die Zentrale Wahlkommission hatte kurz zuvor die inoffiziellen Ergebnisse nach Auszählung von über 99,9 Prozent der Stimmen veröffentlicht. Demnach hat der prorussische Sozialist Igor Dodon die Stichwahl mit 52,2 Prozent gegen Maia Sandu (47,8 Prozent) gewonnen, die proeuropäische Kandidatin sechs außerparlamentarischer Parteien. Die Wahlbeteiligung lag mit 53 Prozent höher als in der ersten Runde vor zwei Wochen. Die als Antikorruptionskämpferin bekannte Ex-Bildungsministerin schaffte es auch, den Rückstand von zehn Prozent in der ersten Runde auf vier Prozent zu verringern. Zum Wahlsieg reichte es ihr jedoch nicht.
Sandu vermied es vorerst, ihre Niederlage anzuerkennen. Stattdessen sprach sie von Unregelmäßigkeiten. Zudem hätte man im Ausland keine Stimme abgeben können, klagte sie. Schätzungsweise jeder dritte Moldauer lebt zeitweise als Gastarbeiter in der EU oder Russland. Das Land ist von den Transferzahlungen abhängig.
Profitiert haben sowohl Sandu als auch Dodon von Protesten gegen einen Bankenskandal sowie der Tatsache, das unter der Pro-EU-Regierungskoalition eine Milliarde Dollar verschwunden sind, was bis heute noch nicht aufgeklärt wurde. Sandu trat auf der Seite proeuropäischer Demonstranten auf, Dodon instrumentalisierte die Unzufriedenheit gemeinsam mit anderen prorussischen Kräften zugunsten des Kremls.
„Präsident aller Moldauer“
In der Nacht zum Montag rief der Sieger die Moldauer zur Ruhe und Mäßigung auf. Er versprach, Staatspräsident aller Bürger zu sein. Noch im Wahlkampf hatte Dodon mit einer Aufkündigung des 2014 unterschriebenen EU-Assoziationsvertrags und dem Beitritt zu Putins Eurasischer Zollunion zwischen Russland, Weißrussland, Kasachstan und Armenien geworben und die ukrainische Halbinsel Krim als russisch bezeichnet. Montagmittag kündigte Dodon an, seine erste Auslandsreise würde ihn nach Moskau führen.
Dass dies eine Neuausrichtung der seit der Unabhängigkeit von 1991 zwischen Ost und West zerrissenen Ex-Sowjetrepublik bedeutet, ist unsicher. Die Macht des Präsidenten ist beschränkt. Die versprochenen vorgezogenen Neuwahlen kann Dodon nicht selbst ansetzen. Noch ist die Regierung proeuropäisch. Das letzte Wort hat ohnehin der mächtige Oligarch Vladimir Plahotniuc. Er wird im eigenen Interesse vermehrt zwischen Moskau und Brüssel schaukeln und beiderorts eine hohle Hand machen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)