IHS-Chef: "Den Abstieg gibt es nicht, nur Angst"

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Der neue IHS-Chef Kocher fordert eine echte Steuerreform und warnt vor einer zweiten Eurokrise. Der Siegeszug des Populismus lasse sich durch mehr soziale Mobilität stoppen.

Wien. Anfang September trat Martin Kocher seinen neuen Job als Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) an. Am Mittwoch stand der Verhaltensökonom im Klub der Wirtschaftpublizisten Rede und Antwort – und ließ mit einigen Thesen aufhorchen:
Nein zur Maschinensteuer.Dass sich die Investitionsquote in Österreich nicht erholt (sie fiel von knapp 24 Prozent vor der Krise auf gut 22 Prozent heute), hält der Ratgeber der Politik für „beunruhigend“, zumal bei so niedrigen Zinsen. Staatliche Investitionsförderung wirke aber nur im Verbund mit einem größeren Zukunftskonzept: „Sonst ist die Gefahr sehr groß, dass sie verpufft.“ Weil die Regierung eine solche Vision nicht anzubieten hat, sei es auch richtig gewesen, ihr im Oktober präsentiertes Förderpaket für Unternehmen klein zu halten – mehr wäre „fahrlässig“ gewesen. Eine Wertschöpfungsabgabe, wie sie die SPÖ forciert, sei in dieser Situation kontraproduktiv, „weil sie Innovationen und Forschung behindert“.
Ökosteuer trifft die Armen. Mehr Steuern lehnt Kocher ab, die Quote sei schon sehr hoch und die „Effizienzmüdigkeit“ staatlicher Institutionen anders zu beheben. Wie die Kollegen vom Wifo fordert der IHS-Chef einen aufkommensneutralen Abtausch: weniger Einkommensteuer, mehr Abgaben auf fossile Ressourcen. Aber er warnt: Weil etwa eine höhere Mineralölsteuer für alle gleich gilt, wirkt sie regressiv – sie trifft die Armen härter als die Reichen. Zum Ausgleich solle man auch Grund und Boden stärker besteuern (hier können die Vermögenden nicht ausweichen). Mehr soziale Transfers seien der falsche Weg: Kocher hält sie wegen des hohen Kontrollaufwands für „zu teuer“. Und auch für zu wenig zielgenau, weil sie sehr oft nicht bei den Richtigen ankommen.
Roboter killen Jobs – temporär. Durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze wegfallen. Aber anders als bei früheren technologischen Schüben gehe es kaum um den Niedriglohnsektor, in dem eher mehr Arbeit gebraucht wird (Stichwort Pflege). Stärker sei die Mittelschicht betroffen, bis hin zu Ärzten und Professoren. Aber Kocher bleibt optimistisch: „Noch nie in der Geschichte sind auf längere Sicht Jobs verloren gegangen.“ Zu rechnen sei mit einem Umbruch, der bis zu zehn Jahre dauert. Diese Phase gelte es politisch zu steuern.
Brexit ist reversibel. Für die Verhandlungen zum EU-Austritt Großbritanniens sieht Kocher zwei Szenarien: Entweder zeigt sich Brüssel kooperativ. Dann einigt man sich rasch auf ein aufgeweichtes Efta-Modell, mit weniger finanziellen Beiträgen und einem Kompromiss beim freien Personenverkehr. Das käme der deutschen Exportindustrie zupass, wäre aber gefährlich, weil es Nachahmer motiviert. Oder aber die EU-Verhandler ziehen die harte Linie durch. In diesem Fall hält Kocher einen „Reverse Brexit“ für möglich: Es gibt ein zweites Referendum, und die Briten bleiben doch in der EU.
Tickende Eurobombe. Aus dem Blick geraten sind die Nord-Süd-Diskrepanzen im Euroraum. Verschwunden sind sie keineswegs: „Europa schafft es nicht, die Fiskalpolitik krisenresistenter zu machen.“ Beim nächsten Konjunktureinbruch werde der Mangel „akut“. An der „schmerzhaften“ inneren Abwertung durch sinkende Löhne in den Krisenländern führe kein Weg vorbei. Wenn so die Preise im Süden um zwei Prozent weniger steigen als im Norden, dauere die Durststrecke für Griechenland „zehn bis 15 Jahre“, in Italien und Spanien aber „weit weniger lang“. Eine Anpassung über den leistungsfähigen Norden sei nicht ratsam: Steigen dort die Löhne stärker, verliert Europa seine globale Wettbewerbsfähigkeit. Bei mehr staatlichen Investitionen (namentlich in Deutschland) würden auch im Norden die Schulden bedenklich steigen und das Vertrauen der Investoren schwinden. Eurobonds schließlich wären ein „gefährliches Spiel“ und bei unbegrenzter Anwendung sogar „Sprengstoff“ für den Währungsraum, weil sie zum Trittbrettfahren ermuntern.
Falsche Analyse zu Trump. Oft hört man dieser Tage: Die vielen Verlierer der Globalisierung hätten Donald Trump zum US-Präsidenten gemacht. Kocher hält das für falsch: „Den Abstieg gibt es nicht, es gibt nur Zukunftsängste“ und davon „viel mehr als gerechtfertigt“. Woher aber kommt die Angst, in den USA wie in Österreich? Kocher verweist auf typische Umfrage-Antworten wie: „Unseren Kindern wird es nicht besser gehen.“ Früher hätten die Menschen an die Zukunft geglaubt, weil ihre Kinder besser ausgebildet wurden als sie selbst. Heute aber befördere Ausbildung kaum noch die soziale Mobilität: „Das Versprechen der Chancengleichheit gilt nicht mehr.“ Auch in Österreich gebe es hier „ganz großen Aufholbedarf“. So erstarken Populisten, wie Kocher durchklingen lässt. Und hier läge ein Mittel, um sie zu stoppen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2016)

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