Österreichs Fußball ist wieder Mittelmaß

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Ausgerechnet das Euro-Jahr war das schlechteste unter Marcel Koller. Ein Mutmacher vor der Winterpause wurde verpasst, die Tendenz zeigt nach unten, offene Baustellen bleiben. Kurzum: Der Teamchef verspielt seinen Kredit.

Wien. Einsichtiger als zuletzt trat Marcel Koller vor die Presse. Es galt, das Länderspieljahr 2016 zu bilanzieren, das bisher schlechteste seiner fünfjährigen Amtszeit. Die Zahlen: drei Siege, drei Remis, sechs Niederlagen, 12:17 Tore. Die Folge ist ein Absturz in der Fifa-Weltrangliste von Platz zehn auf Rang 30 in nur viereinhalb Monaten. Und in diesem Ranking ist die 0:1-Heimniederlage am Wochenende in der WM-Qualifikation gegen das ersatzgeschwächte Irland noch gar nicht einberechnet. „Ergebnistechnisch kein erfolgreiches Jahr“, erklärte Koller.

Freilich, die Luft da oben sei dünn, der Mannschaft kein Vorwurf zu machen, sie habe alles versucht, und richtige Abfuhr habe man auch keine kassiert. Das bleibt festzustellen: Nach nur vier Qualifikationsrunden bangt Österreich bereits um die WM 2018 in Russland. Der verkorkste Herbst ist eine Nachwirkung der enttäuschenden Europameisterschaft, der Auftritt in Frankreich war ein Einschnitt, der vieles kaputtgemacht hat. Aber einer, der sich angedeutet hatte. Die Verunsicherung sei schon beim ersten Lehrgang des Jahres im März zu spüren gewesen, erzählte Koller. Danach an den Stammkräften festzuhalten, sei „ein gewisses Risiko“ gewesen.

Schon in der Vorbereitung wurden Fehler gemacht, bei der EM herrschte dann kollektives Versagen. Auch der ÖFB stellte seine mangelnde Erfahrung bei Großereignissen zur Schau.

Spielerisch ist fünf Monate später keine Tendenz nach oben zu erkennen, das Nationalteam ist nun seit vier Partien sieglos. Auch das Testspiel zum Jahresabschluss gegen die Slowakei hat keinen Befreiungsschlag gebracht. Nach dem 0:0 im Happel-Stadion wurde das Team von nur 14.200 Hartgesottenen (Minusrekord unter Koller im Prater) mit vereinzelten Pfiffen in die Kabine geschickt.

Der Radikalumbau beim Slowakei-Test mit acht Neuen in der Startelf wirft die Frage auf: Hat Koller einfach nur experimentiert oder steckt mehr dahinter? Zusammenhängende Aktionen waren gegen die slowakische Zweiergarnitur ob der Rotationen jedenfalls nicht möglich. Auch Lösungen für die seit geraumer Zeit offenen Baustellen in Kollers 4-2-3-1 taten sich keine auf. Weiterhin fehlt eine Alternative zur verletzungsanfälligen Solospitze Marc Janko, seit zwei Partien wartet man auf einen Torerfolg.

Nach dem gescheiterten Linksverteidiger-Experiment mit Kevin Wimmer, der gegen Wales, Serbien und Irland mitschuld an je einem Gegentreffer war (das soll kein Vorwurf sein, Wimmer spielt dort sonst nie, so er denn bei Tottenham überhaupt spielt), blieben Ingolstadt-Legionär Markus Suttner sowie Debütant und Salzburg-Reservist Stefan Stangl auf der Außenbahn vor allem offensiv unauffällig.

Der beste österreichische Linksverteidiger wurde wegen seiner Nichtberücksichtigung auf dieser Position nun zum Sinnbild der ÖFB-Krise. David Alaba war auch 2016 in der Mittelfeldzentrale bemüht, aber plötzlich wirkungslos. Alternativen mit dem nötigen Kreativpotenzial sind allerdings keine in Sicht. „Wollen wir wirklich unsere Spielweise der vergangenen fünf Jahre aufgeben?“, fragte Koller deshalb. Und gab gleich die Antwort: „Wir sollten konsequent versuchen, unseren Weg weiterzugehen.“ Auch wenn er „ins Stocken geraten“ sei. „Es ist schwierig, kurzfristig Dinge im großen Stil zu verändern. Aber es gibt viele kleine Dinge, die man auf dem Platz besser machen muss.“

Formkurven vs. Verdienste

Dass das Nationalteam 2016 erstmals heftige Kritik zu hören bekommt, ist ebenfalls eine neue Situation. Koller selbst reagierte mitunter dünnhäutig. Schließlich wurde er einst für die Treue zu seinen Stammspielern gelobt, nun wird ihm Sturheit und mangelnde Flexibilität vorgeworfen, wenn weniger aktuelle Formkurven als vergangene Verdienste seine Aufstellungen bestimmt haben. Ausgerechnet als Koller – wenn auch nur notgedrungen – dann den von Medienseite längst geforderten Alessandro Schöpf gegen Irland von Beginn an brachte, enttäuschte der Schalke-Legionär. Beim kommenden WM-Qualifikationsspiel am 24. März 2017 gegen Moldau stellt sich die Frage nicht, Schöpf ist gesperrt. Er sah beim U21-Auftritt Gelb-Rot, diese Rechnung bezahlt Koller.

Zu erwarten ist nun ein moldawisches Abwehrbollwerk, das ist selbst für Teams mit funktionierenden Automatismen und intaktem Selbstvertrauen eine schwierige Aufgabe. Österreich schaffte 2016 nur einen Pflichtspielsieg. Koller: „Wir haben im Moment Probleme. Der Ball will nicht über die Linie.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2016)

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