ÖVP auf der Suche nach der Leitkultur. Die Rechtsordnung sei einzuhalten, Frauen müssten gleich behandelt werden und auch bei der Freiwilligenarbeit sollten Zuwanderer sich engagieren, appellierte Lopatka.
Wien. Betritt man die Klubräumlichkeiten der ÖVP im zweiten Stock des Parlaments, so fällt einem das bunte Kreuz auf, das an der Wand hängt. Das christliche Symbol spielte auch in den Worten von Klubobmann Reinhold Lopatka eine Rolle, mit der er am Mittwoch die von die Partei veranstaltete Enquete zum Thema Werte und Leitkultur eröffnete. „Niemand kann verpflichtet werden auf das Kreuz. Aber wir erwarten, dass es akzeptiert wird“, sagte er in Richtung Zuwanderer. Sei es als Symbol auf Berggipfeln oder in Schulklassen.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Errungenschaften auch nur ansatzweise gefährdet werden“, erklärte Lopatka. Die Rechtsordnung sei einzuhalten, Frauen müssten gleich behandelt werden und auch bei der Freiwilligenarbeit sollten Zuwanderer sich engagieren, appellierte der Klubchef. „Wenn wir Integration schaffen wollen, müssen wir von denen, die zu uns kommen, sehr viel verlangen.“
Hauptsorge der Österreicher
Es ist kein Zufall, dass die ÖVP momentan stark auf dieses Thema setzt. Wahlergebnisse rund um den Globus zeigen, dass Zuwanderung und Angst um den Verlust von Heimat Menschen bewegt. Auch in Österreich, wie OGM-Geschäftsführer Wolfgang Bachmayer bei der Enquete mit Ergebnissen einer Umfrage untermauerte, für die 982 Personen interviewt wurden. Als stärkste Sorge stellte sich dabei „zu viel Zuwanderung und Flüchtlinge“ heraus, gefolgt von „weniger Sicherheit, mehr Kriminalität“. Erst dahinter landen in der Umfrage die Sorge um zu wenig Einkommen oder nicht gesicherte Pensionen.
Doch was sind die Werte, die Zuwanderer teilen sollen? „Wir sind ein jüdisch-christlich-aufklärerisch geprägtes Land“, erklärte Integrationsminister Sebastian Kurz im Rahmen einer Podiumsdiskussion. „Wir sollten ein Land sein, in dem jeder danach beurteilt wird, welchen Beitrag er leistet.“ Und nicht nach der Herkunft. Man brauche aber Regeln, etwa ein Verbot der Vollverschleierung.
Wie soll das in der Praxis funktionieren, hakte Moderator Michael Fleischhacker nach. „Kommt dann die Polizei und reißt den Schleier runter?“. „Sind Sie schon einmal rauchend in der U-Bahn gefahren?“, konterte Kurz. „Oder unangeschnallt im Auto? Ich bin dafür schon gestraft worden“, sagte der Minister. Und zwar ohne gleich aus dem Auto gerissen worden zu sein. Zudem würden Regeln, wenn es sie denn einmal gebe, ohnedies von vielen eingehalten werden.
Für Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft zeugt das Wort Leitkultur von Hierarchiedenken. Wertebewusstsein sei hingegen etwas Wichtiges, dieses gebe es im Islam genauso. Baghajati ist gegen ein Verbot der Vollverschleierung, auch wenn sie für diese keine Sympathie hege. Aber ein Verbot könne dazu führen, dass Frauen dann gar nicht mehr auf die Straße gehen. Zudem gebe es in Österreich ohnedies kaum vollverschleierte Frauen.
„Wir haben auch ein Verbotsgesetz und wir haben kaum Nazis“, wandte Rudolf Taschner ein, Mathematik-Professor und Autor des Buchs „Woran glauben“. Er steht dem Begriff Leitkultur jedoch ebenfalls skeptisch gegenüber, ihm gefalle der Begriff Tradition besser. Und man müsse sich der Wurzeln Europas schon bewusst sein. „Wenn Kanzlerin Merkel sagt, der Islam gehört zu Deutschland, ist das verrückt“, meinte Taschner.
Nahostexpertin Karin Kneissl erinnerte daran, dass in in vielen islamischen Staaten die strengen Bekleidungsvorschriften für Frauen erst in den vergangenen Jahrzehnten entstanden seien. „Im Koran ist es nicht vorgeschrieben, ein Kopftuch zu tragen.“ Ein großes Problem seien auch Sprechverbote, die sich die westliche Welt vor lauter Korrektheit in der Diskussion über Zuwanderung auferlegt habe. Sie könne in der arabischen Welt über Probleme teils offener reden als hierzulande. „Die Sprache, die wir heute verwenden, ist eine absolut gebogene. Die Redefreiheit ist aber das Um und Auf“, appellierte sie.
SPÖ als Nikolausverhinderer?
Keine Sorge muss man sich laut Kurz darum machen, dass Moslems Martins- oder Nikolausfeste in Kindergarten verhindern wollen. Immer wieder sei man mit solchen Vorwürfen konfrontiert, sagte Kurz. Aber dann stelle sich heraus, „dass es meist Politiker der SPÖ Wien waren“, die die Abschaffung betrieben „und nicht Musiminnen und Muslime“. Eine Feststellung, die in den ÖVP-Räumlichkeiten mit Gelächter und Applaus quittiert wurde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2016)