Früher entschieden die Wiener die Geschicke der Bundespartei. Heute reicht es noch für eine Hofburg-Wahl.
Ohne Michael Häupl wäre Alfred Gusenbauer nicht Bundesparteivorsitzender der SPÖ geworden. Ohne Michael Häupl wäre Werner Faymann nicht Bundesparteivorsitzender der SPÖ geworden. Ohne Michael Häupl ist Christian Kern Bundesparteivorsitzender der SPÖ geworden.
Nichts beschreibt den Machtverlust des Mächtigen besser als dieser Umsturz – von Werner Faymann zu Christian Kern –, der an ihm vorbeilief. Michael Häupl wollte Werner Faymann retten, mit Gerhard Zeiler als Alternative in der Hinterhand. Es wurde Christian Kern. Die Phalanx der übrigen SPÖ-Landesparteien war auf einmal stärker.
Selten, aber doch gibt es so etwas auch in der SPÖ. Mitunter sogar in den entscheidenden Momenten. Denn es waren einst auch die roten Landesparteien, die den SPÖ-Landesparteichef von Niederösterreich, Bruno Kreisky, gegen Widerstände als neuen SPÖ-Chef durchgesetzt hatten.

Sonst galt freilich: Ohne Wiener SPÖ ist die Bundespartei nichts. Sie hat dort auch ihre Wurzeln. Auf den Barrikaden des Revolutionsjahres 1848, in den Reportagen des Armenarztes Victor Adler über das Leben des Proletariats am Stadtrand, in den großen Mai-Aufmärschen, im Roten Wien, der Entwicklungsstation des Austromarxismus und der Bastion gegen den Austrofaschismus. Um in der SPÖ-Diktion zu bleiben.
Auch nach 1945 gab es in Wien außer roten Bürgermeistern nur rote Bürgermeister. Selbst sozialdemokratische Hochburgen wie Hamburg haben zwischenzeitlich einmal die Farbe gewechselt. Wien nie. Und wenn hier die Partei ins Wanken gerät, dann sind die tektonischen Erschütterungen bis an die Peripherie in den Ländern spürbar.
Hauptthema Zuwanderung
Auch die derzeitige ideologische Auseinandersetzung wird in Wien stellvertretend für die gesamte Bundespartei geführt: Wie hält man es mit der FPÖ? Und vor allem: Wie hält man es mit der Zuwanderungspolitik? Für die SPÖ-Wähler und potenziellen Sympathisanten wohl die entscheidende Frage.
Nicht nur Marcel Koller, sondern auch Michael Häupl braucht Mut zur Veränderung.
Christian Deutsch, SPÖ-Gemeinderat und Ex-Parteimanager von Michael Häupl
Die Zuwanderungspolitik, zu der sich im vergangenen Jahr auch noch die Flüchtlingspolitik hinzugesellte, hat viele ehemalige Sozialdemokraten in die Arme der FPÖ getrieben. Vor allem in den bevölkerungsreichen Außenbezirken Wiens war dies augenscheinlich. Und so sind auch deren Vertreter in der SPÖ die vehementesten Befürworter einer restriktiveren Migrationspolitik. Die SPÖ-Exponenten in den inneren Bezirken können es sich leisten, die Weltoffenen, mitunter auch Weltfremden zu geben. Sie müssen nur fürchten, Stimmen an die Grünen zu verlieren. Das können dann aber auch nicht so wenige sein, wie die jüngste Wahlwiederholung in der Leopoldstadt bewies. Die Wiener SPÖ steckt also in einem Dilemma.
Hinzu kommen die Schulden der Stadt – bis Ende 2017 mit 6,5 Milliarden Euro veranschlagt. An allen Ecken und Enden muss gespart werden. Wie dann die Integration von Menschen von außen funktionieren soll, noch dazu, wenn man noch mehr hereinlässt, ist nicht nur den SPÖ-Politikern in den Außenbezirken schleierhaft, die sich angesichts der Budgetmängel auch um die Instandhaltung der Infrastruktur in ihren Vierteln und Problemzonen sorgen.
Die Klärung der Nachfolge ist doch keine Majestätsbeleidigung. Michael Häupl leistete Großes für die Stadt.
Christian Deutsch, SPÖ-Gemeinderat und Ex-Parteimanager von Michael Häupl
Im Vorjahr war es Michael Häupl noch gelungen, mit einem Refugees-welcome-Wahlkampf inklusive blauem Schreckgespenst eine komfortable relative Mehrheit zu erzielen. Das würde nicht noch einmal funktionieren. Und während die Bobo-Fraktion in der Wiener SPÖ noch an den alten Parolen festhielt, hatte die Bundespartei – zuerst unter Werner Faymann, dann unter Christian Kern – die neue Linie bereits festgezurrt: Stichwort Obergrenze. Hier war es die burgenländische SPÖ, die den Ton vorgeben hatte. Über die nächste rote Linie, Kürzungen bei der Mindestsicherung, traut sich die SPÖ allerdings noch nicht drüber. Da ist der Einfluss des Wehsely-Flügels auf die Bundespartei dann doch noch zu groß.
Bürgermeister Michael Häupl hat Veränderungen angekündigt. Die will ich jetzt sehen.
Ernst Nevrivy, SPÖ-Bezirksvorsteher Donaustadt
78 Prozent für Van der Bellen
Auch wenn die Wiener SPÖ ihre vormals so dominante Rolle eingebüßt hat, in der anstehenden Hofburg-Wahl werden ihre Wähler eine solche spielen. Wien hat in der Stichwahl vom 22. Mai das Ergebnis zugunsten von Alexander Van der Bellen gedreht: 78 Prozent der Wähler Rudolf Hundstorfers aus dem ersten Durchgang haben laut Sora Van der Bellen gewählt, 18 Prozent Norbert Hofer. Im ersten Wahlgang haben 37 Prozent der SPÖ-Wähler der Gemeinderatswahl von 2015 Van der Bellen gewählt, 23 Prozent Hundstorfer und acht Prozent Hofer. Nicht auszuschließen, dass die aktuellen Querelen in der Wiener SPÖ daran noch etwas ändern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2016)