„Wer sich abschottet, den wird die Faust ins Gesicht treffen“

Jim Yong Kim
Jim Yong Kim(c) Clemens Fabry
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Jim Yong Kim, der Präsident der Weltbank, über die Zukunft Afrikas, den Segen der Globalisierung und die gefährlichen Verheißungen von Populisten.

Sie waren früher ein leidenschaftlicher Gegner der Weltbank. Heute sind Sie ihr Chef. Wer hat sich geändert, Sie oder die Bank?

Jim Yong Kim: Wir haben uns beide gewaltig verändert! Warum war ich damals so gegen die Weltbank? Weil sie so eng auf nur ein Ziel fixiert war: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Das ist auch sehr wichtig, ich habe es damals zu wenig gewürdigt. Es hat in China wunderbar funktioniert, und es ist eines unserer großen Ziele geblieben. Aber wenn man nicht zugleich auf Gesundheit, Bildung, Umwelt und soziale Sicherung achtet, dann ist das die falsche Strategie. Über die Zeit ist auch die Weltbank zu genau diesem Schluss gekommen. Daher ist ein zweites großes Ziel für sie hinzugekommen: in die Menschen investieren. Das ist mindestens so wichtig wie die Infrastruktur. Viele Konflikte sind eine Folge davon, dass man das vernachlässigt hat.

Wird der künftige US-Präsident Trump die Gelder für die Weltbank kürzen?

Wie alle anderen warten auch wir geduldig darauf, was Trump machen wird. Viel ist noch sehr unklar. Unser Argument ist: Wir liefern nicht nur amerikanischen Firmen gute Möglichkeiten zu investieren. Wir helfen auch dabei mit, die Welt widerstandsfähiger zu machen: gegen Epidemien, Schocks wie Ebola oder den Zika-Virus und die Folgen des Klimawandels. Sonst kommt es zu Zerrüttungen, die der ganzen Welt schaden können – auch den USA. Ein Beispiel: Ein Faktor, der den Konflikt in Syrien verschärft oder vielleicht sogar ausgelöst hat, war eine schwere dreijährige Dürre – und sie hatte sehr wahrscheinlich mit dem Klimawandel zu tun.

Sie haben Konkurrenz bekommen, vor allem durch die AIIB, die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank. Welche Rolle spielt die Weltbank noch als Kreditgeber der armen Länder?

Früher hieß es: Die Einrichtungen, die Entwicklungsländer finanzieren sollen, können das Kapital, das sie dafür von den Industrieländern zur Verfügung gestellt bekommen, gar nicht „absorbieren“. Das hat sich völlig geändert. Die Kapitalnachfrage der Entwicklungsländer ist gewaltig: Sie investieren jedes Jahr eine Billion Dollar in Infrastruktur. Der Bedarf wäre aber zwei bis zweieinhalb Billionen. Wenn man alles Geld auf den Tisch legt, das wir und andere Entwicklungsbanken bieten können, ist das bei Weitem nicht genug. Darum begrüßen wir auch die AIIB.

Bei so niedrigen Zinsen: Können sich die Entwicklungsländer da nicht auch auf dem Kapitalmarkt finanzieren, ohne Verhaltensregeln befolgen zu müssen wie bei Ihnen?

Sicher, die Zinsen sind tief. Aber die strengere Regulierung hat dazu geführt, dass sich Banken aus Entwicklungsländern zurückziehen oder hohe Aufschläge verlangen. Ghana zahlt heute auf dem Kapitalmarkt 15 Prozent Zinsen für eine zehnjährige Anleihe. Die Weltbank stellt solchen Ländern Geld für 15 Jahre mit einer fixen Rate von zwei Prozent zur Verfügung. Dazu bekommen sie gratis technische Unterstützung, die sie von einer Geschäftsbank nicht bekommen. Und wir sichern damit den Erfolg des Investitionsprojekts ab.

Trotzdem muss nach Ihrer Einschätzung mehr privates Kapital in die Entwicklungsländer kommen. Welche Vorteile hat es?

Direktinvestitionen von Privaten verbessern die Institutionen vor Ort weit mehr als Entwicklungshilfe. So kommen Firmen ins Land, die Jobs schaffen und Steuern zahlen.

Aber institutionelle Investoren machen doch üblicherweise einen großen Bogen um die Entwicklungsländer . . .

Einer der wenigen Lichtblicke heute ist: Es gibt so viel Kapital, das sehr wenig Ertrag abwirft. Zwölf Billionen in Anleihen investierte Dollar sind negativ verzinst! Und auf der anderen Seite gibt es so viele geplante Infrastrukturprojekte mit positiven Erträgen. Das ist eine großartige Chance. Wir sorgen dafür, dass dieses private Kapital in die Länder kommt, die es dringend brauchen. Von allein geht das nicht, weil das gefühlte Risiko für die Investoren zu hoch ist. Pensionsfonds, Versicherungen oder Staatsfonds sind sehr zögerlich bei Investitionen in Afrika. Wir liefern ihnen Garantien, Versicherungen und Risikokapital. Und wir legen gemeinsame Fonds für Infrastrukturprojekte auf. Wenn das Projekt scheitert, übernehmen wir einen Teil der Verluste. Damit ist der Partner abgesichert.

Weltweit ist die extreme Armut massiv zurückgegangen: von 37 Prozent im Jahr 1990 auf unter zehn Prozent heute. In Afrika aber, wo weiter am meisten Hilfe hinfließt, ist der Anteil der extrem Armen gleich hoch geblieben. Was lernen wir daraus?

Auch Afrika ist gewachsen. Aber vor allem durch den Abbau von Rohstoffen wie Eisenerz. Das schafft nicht viele Jobs, und die Armut geht deshalb nicht zurück. Asien konnte noch den traditionellen Entwicklungspfad nehmen: Landwirtschaft, einfache Produktion wie in der Textilbranche, und dann volle Industrialisierung. Viele glauben, das werde auch in Afrika passieren. Aber wir müssen anders denken: Durch die digitale Revolution steht dieser Weg afrikanischen Ländern wohl nicht mehr offen. Zumindest dann nicht, wenn sich auch die Textilindustrie automatisiert und teilweise zurück in die Industriestaaten geht. Damit gewinnen die Investitionen in Menschen, in die Bildung, zusätzlich gewaltig an Wert. Durch Mangelernährung sind weltweit 156 Millionen Kinder unter fünf Jahren geistig unterentwickelt. Die Anforderungen an Jobs aber steigen Jahr für Jahr – und damit die Lücke. Da müssen wir ansetzen.

Kann Afrika von einer bäuerlichen direkt zu einer digitalen Wirtschaft springen?

Vielleicht nicht zu einer digitalen Wirtschaft, aber zumindest zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Vielleicht werden die afrikanischen Länder keine andere Wahl haben. Dann müssen wir sie darauf vorbereiten. Und nicht nur auf Stromversorgung und Straßen setzen.

Sie kommen ursprünglich aus Korea. Wie hat Ihre Heimat den Aufschwung geschafft?

Ich wurde 1959 geboren. Damals war Korea eines der ärmsten Länder der Welt. Die Weltbank hielt Korea damals für einen hoffnungslosen Fall. Man meinte, man könne dem Land nicht einmal einen Kredit ohne Zinsen geben, weil er nie zurückgezahlt werde. Heute ist Südkorea ein Land, das in vielen Technologien führend ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Alphabetisierungsrate bei 23 Prozent, in Japan schon bei 100 Prozent. Viele afrikanische Länder sagen heute: Wir werden zwar nie wie Japan werden. Aber was Korea geschafft hat, das können wir auch schaffen. Weil es solche Positivbeispiele wie Korea gibt, wird man den Wunsch von Milliarden Menschen auf der Welt nicht stoppen können, diesen Traum ebenfalls zu leben.

Den größten Beitrag zum Rückgang der Armut weltweit hat China geleistet. Was waren dort die Treiber?

Marktwirtschaft und Handel. Sie haben allein in China 700 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Deshalb sind wir so starke Befürworter von freiem Handel und Globalisierung. Die ganze Welt sitzt heute im selben Boot. Und das Boot heißt globale Marktwirtschaft. Niemand hat sich so ernsthaft mit diesem Thema auseinandergesetzt wie Peking. Auch China und Vietnam haben sich diesem System unterworfen, obwohl sie offiziell noch kommunistische Regierungen haben. Sie wissen: Sie müssen sich in einer globalen Marktwirtschaft durchsetzen.

Durch die Globalisierung hat auch die Ungleichheit auf der Welt als Ganzes abgenommen. Innerhalb der meisten Industrieländer ist sie gestiegen, weil es auch relative Verlierer der Globalisierung gibt. Die Reaktion vieler westlicher Politiker ist ein neuer Trend zum Protektionismus – auch bei Donald Trump. Das könnte die Chancen von Entwicklungsländern am Weltmarkt zerstören. Gibt es hier zu wenig Solidarität?

Früher gab es zwei Optionen: Kommunismus oder freie Marktwirtschaft. Dieser Wettstreit der Ideen ist vorbei. Die Marktwirtschaft hat ihn eindeutig gewonnen. Nun muss man aber dafür sorgen, dass dieses System auch wirklich für jeden vorteilhaft ist. Jeder der 7,5 Milliarden Menschen auf der Welt will von den Errungenschaften der modernen Zivilisation profitieren. Milliarden Smartphone-Nutzer können sehen, wie gut die Österreicher hier im schönen Wien leben. Gleichzeitig gibt es im Westen eine starke Bewegung, die meint: Wenn wir unsere Grenzen schließen, uns nur auf uns konzentrieren und auch aufhören, Hilfe für arme Länder zu leisten, dann werden wir uns diesen globalen Entwicklungen entziehen können. Sowohl die Linken als auch die Rechten glauben, dass man das Erreichte schützen kann, wenn man die Grenzen schließt und sich nur mehr nach innen richtet. Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Österreicher stehen heute mit Chinesen und Vietnamesen in Konkurrenz. Egal, wo man dort hinkommt: Man findet überall den intensiven Wunsch, sich mit den anderen zu messen. Und die Österreicher hätten dabei einen riesigen Vorteil, weil es hier ein so gutes Bildungssystem gibt.

Sind die westlichen Demokratien stark genug, diesem Druck standzuhalten?

Ich bin ein großer Anhänger der parlamentarischen Demokratie. Sie ist ein Teil der Aufklärung, ich kann mir kein besseres System vorstellen. Aber sie steht heute im Wettbewerb mit Ländern, in denen es keine Demokratie gibt. Und diese Länder haben oft eine enorme Effizienz. Dort werden von der Regierung Entscheidungen getroffen, und 1,3 Milliarden Menschen gehen in eine Richtung. Das ist eine große Macht. Es wird daher starke politische Persönlichkeiten in den Demokratien geben müssen, die eine realistische Vision der Zukunft bieten. Die Leute, die nun Wahlen gewinnen, bieten jedoch eine Vision an, die oft nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Und diese Realität wird die Wirtschaft der Länder, die sich nun abschotten und vom internationalen Handel zurückziehen wollen, direkt ins Gesicht treffen. Das wird ein Desaster. Aber viele reiche Industrieländer müssen das wohl erst selbst spüren, bevor sie es glauben.

Diskussion

Weltbankpräsident Jim Yong Kim war auf Einladung von Finanzminister Hans Jörg Schelling im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Finanz im Dialog“ in Wien. Das im Herbst 2014 gestartete Format brachte bereits Diskussionsveranstaltungen mit Gästen wie dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der schwedischen Finanzministerin Magdalena Andersson oder IWF-Chefin Christine Lagarde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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