Kurz, Schüssel und die politischen Tabus

Sebastian Kurz
Sebastian KurzReuters
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Bei einer Veranstaltung in Berlin zum Thema Radikalisierung zeigte sich, dass Außenminister Sebastian Kurz und Altkanzler Wolfgang Schüssel ein ähnliches Politikverständnis haben – und große Sympathien füreinander.

Berlin. Da saß die Vergangenheit der ÖVP, Wolfgang Schüssel, daneben möglicherweise die Zukunft, Sebastian Kurz. Und es war natürlich kein Zufall, dass beide zur selben Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung nach Berlin gekommen waren. Der immer noch gut vernetzte Altkanzler hatte den Außenminister als Podiumsgast empfohlen, als einzigen Podiumsgast, der zum Thema „Radikalisierung bekämpfen – Sicherheit wahren“ seine Sicht auf Europa darlegen sollte. Aber an Donald Trump und den Lehren aus der US-Wahl kommt derzeit keiner vorbei. Kurz, der während seiner Ausführungen immer wieder den Blickkontakt zu Schüssel suchte, als wünschte er sich dessen Bestätigung, diagnostizierte einen „Gap zwischen den Eliten und der Bevölkerung“ und führte diese Kluft auf eine übertriebene „Political Correctness“ zurück, auch diesseits des Atlantiks.

Dazu erzählte er eine Anekdote aus seiner Zeit als Integrationsstaatssekretär: Eine Gruppe habe ihn damals bedrängt, die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ nicht mehr zu verwenden. Weil: diskriminierend. Mit seinem Team habe er sich lange Gedanken über Alternativen gemacht. Bei einem Bundesländerbesuch wenig später stellte Kurz dann fest, dass dieses Problem fern jeglicher Lebensrealität der breiten Masse sei. Denn die habe erstens andere Probleme und verwende – zweitens – das Wort „Ausländer“.
Überhaupt gebe es so etwas wie politische Tabuthemen. Man könne manche Probleme nicht mehr ansprechen, ohne sofort in ein bestimmtes Eck gedrängt zu werden, beklagte sich der Außenminister. Wer gegen eine unregulierte Zuwanderung sei, finde sich sogleich im rechten Eck wieder. Und wer es wage, Probleme in der EU aufzuzeigen, stehe sofort als Anti-Europäer da. Genau das treibe viele Wähler in die Arme der Populisten.

Er selbst stellte sich als jemand dar, der es wage, das anzusprechen, was das Establishment in Wien und Brüssel nicht hören wolle: Für strenge Kontrollen an den europäischen Außengrenzen („Wenn die Grenzen offen sind, kommen immer mehr Flüchtlinge“). Für eine EU, die mehr Rücksicht auf die Besonderheiten ihrer Mitgliedsstaaten nimmt („Subsidiarität“). Für eine Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft um Mazedonien und Montenegro. Für schärfere Reaktionen auf die Entwicklungen in der Türkei – bis hin zum Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Und, ja: eher gegen eine Große Koalition. Er traue sich in Österreich nicht auf die nächste Regierungskonstellation zu wetten, sagte Kurz.

„Demokratie braucht Drama“

Nach ihm sprach dann Wolfgang Schüssel die Schlussworte, also jemand, der sich sowohl mit Koalitionen abseits der Großen als auch mit politischen Tabus auskennt. Demokratie brauche Drama, findet der frühere Kanzler, der von 2000 bis 2007 mit der FPÖ regiert hat. Wenn die Leute das Gefühl hätten, dass nach der Wahl ohnehin immer dasselbe herauskomme, würden sie politikmüde. Die Demokratie lebe von Auseinandersetzung – und von Politikern, die den Mut hätten, unangenehme Dinge anzusprechen. Als Beispiel nannte Schüssel dann – Sebastian Kurz. Der Außenminister sei bereit, für seine Meinung zu kämpfen. Das sei das richtige Rezept gegen den grassierenden Populismus: Es heiße ja auch Wahlkampf und nicht Wahlschlaf, sagte Schüssel. Ob er da schon etwas vorweggenommen hat? (pri)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2016)

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