Crashkurs Arbeitesrecht: Kündigung von (begünstigt) behinderten Arbeitnehmern

Folge 24. Max ist seit Monaten im Unternehmen beschäftigt. Weil er seinen Status als begünstigter Behinderter nicht offengelegt hat, soll er jetzt gekündigt werden.

Der begünstigt behinderte Max ist seit dem 1. November 2015 bei einem Getränkehersteller beschäftigt. Im Zuge seines Bewerbungsgesprächs legte Max nicht offen, dass er dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört. Als sein Arbeitgeber im November 2016 von dessen Behinderung erfährt, wird Max trotz des bereits Monate andauernden und anstandslos funktionierenden Arbeitsverhältnisses mit der Begründung gekündigt, unrichtige Angaben über seine Behinderteneigenschaft gemacht zu haben.

War die Kündigung rechtmäßig? Ergibt sich eine andere Rechtslage beim dargestellten Sachverhalt, wenn eine Behinderung von unter 50 Prozent bzw. eine sonstige Behinderung vorliegt?

Kündigungsschutz für begünstigt behinderte Arbeitnehmer

Arbeitnehmer, deren Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent durch Bescheid des Sozialministeriumservices festgestellt wurde (sog. „begünstigt Behinderte“), haben nach § 8 BEinstG einen besonderen Kündigungsschutz.

Wurde das Arbeitsverhältnis vor dem 1. November 2011 begründet, hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung des Behindertenausschusses einzuholen. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung ist grundsätzlich rechtsunwirksam, es sei denn, der Behindertenausschuss erteilt in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung.

Wurde das Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2010 begründet, ist die Zustimmung des Behindertenausschusses dann nicht erforderlich, wenn (1) der Behindertenstatus bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses festgestellt ist und der Ausspruch der Kündigung innerhalb der ersten vier Jahre des Arbeitsverhältnisses erfolgt oder (2) der Behindertenstatus erst nach Beginn des Arbeitsverhältnisses festgestellt wird und der Ausspruch der Kündigung während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses erfolgt.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Behinderung bereits bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bestanden hat oder nachträglich eingetreten ist.

Unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses tritt der besondere Kündigungsschutz sofort ein, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsunfalles den Behindertenstatus erhält.

Die Zustimmung des Behindertenausschusses wird in den Fällen des § 8 Abs 4 BEinstG erteilt, wie Wegfall des Arbeitsplatzes des Behinderten, Unfähigkeit zur Leistung der vereinbarten Arbeit, oder beharrlicher Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer.

Kündigungsschutz für sonstige behinderte Arbeitnehmer

Neben den begünstigt behinderten Arbeitnehmern im Sinne des § 2 BEinstG gewährt § 7f BEinstG auch Arbeitnehmern mit einer festgestellten Behinderung von unter 50 Prozent oder einer sonst tatsächlich bestehenden Behinderung im Sinne des § 3 BEinstG die Möglichkeit, eine Arbeitgeberkündigung anzufechten.

§ 3 BEinstG definiert die Behinderung als Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden (d.h. voraussichtlich mehr als sechs Monate andauernden) körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren.

In diesen Fällen verlangt § 7k BEinstG, dass der diskriminierte Arbeitnehmer vor der Anfechtung bei den Arbeits- und Sozialgerichten zwingend ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren bei der jeweiligen Landesstelle des Sozialministeriumservice einzuleiten hat.

Offenlegungspflicht der Behinderung

Grundsätzlich hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, ob ein Arbeitnehmer begünstigt behindert ist, zumal dies unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hat. Ob ein begünstigt Behinderter verpflichtet ist, seinen Arbeitgeber über seinen Behindertenstatus zu informieren, kann jedoch nur nach einer Interessensabwägung im Einzelfall beurteilt werden, wobei insbesondere darauf abzustellen ist, ob die Behinderung zu einer Einschränkung der Einsatzfähigkeit oder zu einer Gefährdung anderer Personen führte. Bei überwiegendem Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers besteht sohin keine Pflicht zur Offenlegung des Status eines begünstigten Behinderten.

Im gegenständlichen Fall durfte Max daher nicht einfach deshalb gekündigt werden, weil er keine Angaben zu seinem Behinderungsstatus gemacht hat. Zumal Max nicht treuwidrig gehandelt hat und es hinsichtlich seiner Arbeitsleistungen keine Beanstandungen gegeben hat, fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Dienstgebers aus, sodass die Kündigung – unabhängig vom Grad der Behinderung – nicht rechtmäßig erfolgt ist.

HBA

Doris Braun ist seit 2000 Partnerin und geschäftsführende Gesellschafterin bei der Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind Arbeits- und Sozialrecht sowie Streitführung. 

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