Großbritannien blickt in den Brexit-Abgrund. Die Regierung senkt die Wachstumsprognose und erhöht die Neuverschuldung.
London. Ein ernster Mann für ernste Zeiten. In der Präsentation des ersten Staatshaushalts seit der Entscheidung Großbritanniens für den Austritt aus der EU ließ Schatzkanzler Philip Hammond am Mittwoch keinen Zweifel daran, dass sein Land vor enormen Herausforderungen steht. „Wir brauchen einen Haushalt, der sicherstellt, dass wir für den Übergang gerüstet sind, vor dem wir stehen.“ Dieser Übergang wird für das Land ein spürbarer Einschnitt werden.
So erklärte Hammond, dass das Wachstum bis 2020 wegen des Brexit um 2,4 Prozent geringer sein wird als prognostiziert. „Wir gehen in eine Periode erhöhter Unsicherheit“, erklärte er. Wächst die britische Wirtschaft heuer noch um 2,1 Prozent, so werden es nächstes Jahr nur noch 1,4 Prozent sein. Erst 2020 sollte die Brexit-Delle wieder überwunden sein.
Den harten Budgetkurs verlassen
Gegen diesen negativen Trend will die Regierung ankämpfen. Unter der Führung von Premierministerin Theresa May ist man vom harten Budgetkurs längst abgekommen. Der geplante Haushaltsüberschuss am Ende der Legislaturperiode 2020 ist längst Makulatur. Stattdessen verkündete Hammond seine neuen „finanzpolitischen Regeln“: Budgetüberschuss erst wieder nach 2020, weniger Staatsverschuldung erst wieder ab 2020, Deckelung der Sozialausgaben ebenfalls 2020.
Mit der Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, gleichzeitig aber die Neuverschuldung in Grenzen zu halten, versucht die Regierung die Quadratur des Kreises. Wegen der Unsicherheiten durch den Brexit sinken bereits die langfristigen Investitionen. Die Regierung will dieser Entwicklung entgegenwirken und steckt 23 Milliarden Pfund in den Bahn-, Straßen- und Wohnbau.
Etwas mehr Sozialleistungen
Zugleich hat sich May dafür starkgemacht, jenen Familien mehr Unterstützung zu gewähren, „die gerade noch über die Runden kommen“. Wer allerdings eine massive Ausweitung der Sozialausgaben erwartet hatte, wurde enttäuscht. Hammond versprach eine langsamere Anpassung der Grenzen, ab denen Hilfszahlungen reduziert werden. Mit einem Betrag von 3,5 Milliarden Pfund handelte es sich aber eher um Peanuts. Ebenso fiel die Anhebung des Mindestlohns von 7,20 Pfund in der Stunde auf 7,50 Pfund mehr als bescheiden aus.
Statt an Geschenke oder individuelle Zuwendungen glaubt der Schatzkanzler an „vernünftiges Haushalten“. Die Gewerbesteuer wird von 20 auf 17Prozent gesenkt. Hammond, der wegen seines trockenen Auftretens Spreadsheet Phil genannt wird und angeblich zum Missfallen seiner Frau am Badestrand mit Vorliebe Haushaltsstatistiken studiert, hat dem Parlament erklärt: „Wir müssen die Wirtschaft auf eine Periode vorbereiten, in der ein neues Kapitel unserer Geschichte geschrieben wird.“
Im Gegensatz zum strikten Sparkurs der Vorgängerregierung glaubt das Kabinett von May wieder an Staatsintervention. Die Premierministerin selbst räumte zuletzt ein, dass viele Unternehmen angesichts des Brexit „an der Klippe stehen“. Schon wird in London darüber spekuliert, dass das Land eine Übergangsvereinbarung mit Brüssel brauchen werde, ehe der gänzliche Austritt aus der EU erfolgen wird.
Das von Hammond für 2020 angepeilte Defizit von 17,1 Milliarden Pfund klingt angesichts einer Staatsverschuldung von 1600 Milliarden Pfund nicht gerade beruhigend.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)