Das britische Rezept für eine perfekte Lose-lose-Situation

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Erst langsam wird klar, in welche ökonomische Sackgasse sich Großbritannien mit dem Brexit-Votum manövriert hat. Wir sollten rasch daraus lernen.

Menschen ändern sich selten von heute auf morgen, auch nicht durch ein hohes Amt. Das zeigt sich bei Donald Trump, und es trifft auch auf Boris Johnson zu. Der frühere Bürgermeister von London poltert als britischer Außenminister munter weiter. Vor Kurzem drohte er dem italienischen Industrieminister: Wenn Großbritannien wegen des Brexit-Votums den Zugang zum Binnenmarkt verliert, „dann verkauft ihr bei uns weniger Prosecco“. Der Kollege beklagte sich über das tiefe Niveau der Diskussion, konnte sich die aufgelegte Replik aber nicht verkneifen: „Und Sie werden in 27 Ländern weniger ,fish and chips‘ los.“ Das bringt es auf den Punkt: So sehr der Brexit die EU politisch schwächt – ökonomisch schneiden sich die Briten mit dem von ihnen angezettelten Scheidungskrieg vor allem ins eigene Fleisch.

Gewiss: Bis jetzt ist die Konjunktur auf der Insel nicht eingebrochen. Aber das war auch nicht zu erwarten. Man kann es spiegelbildlich sehen: Als Österreich der EU beitrat, schnalzten die Wachstumsraten auch nicht sofort in die Höhe. So wie die Segnungen des freien Marktzugangs sich erst im Lauf der Zeit manifestieren, treten auch die Schäden bei einem Rückzug erst verzögert zutage. Nun aber gibt Finanzminister Philip Hammond zu: Das noch im März erwartete kräftige Wachstum können sich die Briten abschminken. Ebenso wie Nulldefizit und Schuldenabbau: Trotz gekürzter Budgets muss sich der Staat viele Milliarden Pfund zusätzlich ausleihen, die Schuldenquote steigt auf über 90 Prozent. Investitionen zur Abfederung der Brexit-Folgen? Kann man sich nicht leisten. Die geplanten „niedrigsten Unternehmenssteuern aller G20-Staaten“? Wohl zu riskant. Um zu erfahren, was Anleihegläubiger von zu hoch verschuldeten Staaten halten, braucht Hammond nur ein paar Stationen mit dem Doppeldeckerbus in die City of London fahren. Wo man im Übrigen schon langsam die Koffer packt.

Auch Premierministerin Theresa May steht mit dem Rücken zur Wand. Nett, dass sie sich über ein paar Hundert Arbeitsplätze von Facebook in London freut. Zu den Deals mit den Autobauern, bei denen es um Hunderttausende Jobs geht, schweigt sie lieber. Um Nissan im Land zu halten, musste sie schon einen Blankoscheck ausstellen: Wenn es auf Exporte zum Kontinent künftig wieder zehn Prozent Zoll gibt, entschädigt dafür der Staat – obwohl es dabei um mehr als die Lohnsumme geht. So hohe Subventionen hat es auf der Insel noch nie gegeben. Aber geschlossene Fabriken würden gerade die begeisterten Anhänger des Brexit treffen. Die „kleinen Leute“ spüren die Folgen ihres Votums schon heute schmerzlich: Der Pfund-Verfall hat importierte Lebensmittel stark verteuert. Weshalb jetzt auch eilig ein höherer Mindestlohn hermusste.


Häme ist freilich fehl am Platz. Europa leidet mit. Man kann die deutschen Exporteure verstehen, die auf Zugeständnisse drängen: Wozu sich gegenseitig wehtun? Aber es geht nicht um Trotz oder Rache. Den sanften Weg hat sich May mit ihren Maximalforderungen selbst verbaut. Voller Zugang zum Binnenmarkt, aber kein freier Personenverkehr – dieses Wunschkonzert kann die Rest-EU nicht spielen, ohne zu einer Welle weiterer Austritte einzuladen.

In der Eurozone ist ein Verzicht auf den freien Austausch von Arbeitskräften nicht denkbar: Bei einer Krise in einem Land müssen die Betroffenen die Möglichkeit haben, dorthin zu ziehen, wo es genug Arbeit gibt. Das ist – neben der schmerzhaften „inneren Abwertung“ durch sinkende Löhne – der einzige Ausgleichsmechanismus bei einer gemeinsamen Währung. Die befürchtete Einwanderung armer Osteuropäer in den Sozialstaat lässt sich mit geltendem EU-Recht gut verhindern. Deshalb trifft die britische Regierung zu Recht auf wenig Verständnis. Die in anderen Überlebensfragen so zerstrittenen EU-Staaten zeigen sich hier bisher erstaunlich geeint. So läuft alles auf einen harten Brexit hinaus.

Das ist sehr bedauerlich, aber nicht die Schuld von Resteuropa. Das britische Volk hat gesprochen und damit eine Kettenreaktion ausgelöst. Diese Lose-lose-Situation liegt allen im Magen, so wie zu viel „fish and chips“. Aber sie waren ja noch nie ein echter Exportschlager.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)

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