Was hinter Erdoğans Asien-Strategie steckt

Erdoğan (links) und Chinas Präsident, Xi Jinping.
Erdoğan (links) und Chinas Präsident, Xi Jinping. (c) APA/AFP/GREG BAKER
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Die türkische Regierung preist die Shanghaier Organisation als Alternative zur EU an. Das ist sie freilich nicht.

Wien/Ankara. Als der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, vor einigen Tagen im usbekischen Samarkand den Flieger bestieg, ließ er die mitreisenden Journalisten in die Notizbücher schreiben: Die EU müsse nicht die einzige Alternative sein. „Warum sollte die Türkei nicht Mitglied von Shanghai Five werden?“, warf Erdoğan in die Runde, wie schon mehrere Male in den vergangenen Monaten. Die Beziehungen mit der EU steuern auf einen neuen Tiefpunkt zu, am heutigen Donnerstag stimmt das EU-Parlament über eine Resolution ab, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara einzufrieren. Da erscheint es dem Präsidenten angebracht, den Bürgern eine Alternative anbieten zu können – und als „Alternative“ wird die Shanghaier Organisation für die Zusammenarbeit (SOZ) in regierungsnahen türkischen Medien auch gern dargestellt.

Nun, eine Alternative zur EU ist die SOZ nicht. Sie könnte eine Ergänzung sein, ein Ausstrecken der Fühler in die andere Weltgegend. Die Türkei ist – trotz der miserablen Stimmung zwischen Brüssel und Ankara – Mitglied in etlichen EU-Programmen, sie ist nicht nur wirtschaftlich mit dem europäischen Raum eng verflochten. Auch wenn Erdoğan wollte, diese Verwebung kann er nicht partout aufkündigen. Shanghai preist der Präsident deswegen als Alternative an, weil er damit seine neue Linie unterstreichen will, dass Ankara die Union nicht brauche. Tatsächlich stößt in Brüssel die SOZ-Initiative auf Skepsis. Wirtschaftliche Interessenkonflikte einerlei, aber die Türkei würde sich so näher an Russland wenden. Und Moskau liegt mit der EU chronisch im Clinch.

Konflikt mit Nato programmiert

Die SOZ ist 1996 in Anlehnung an die fünf Gründungsstaaten als Shanghai Five gegründet worden: Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan bildeten ursprünglich den sicherheitspolitischen Bund, später kam Usbekistan dazu, aus Shanghai Five wurde die SOZ. Neben militärischen Agenden stehen der wirtschaftliche, politische oder auch kulturelle Austausch auf dem Plan. Die SOZ ist freilich nicht dermaßen institutionalisiert wie die EU, aber seit Bestehen der Organisation wurde die Zusammenarbeit sukzessive intensiviert. Zudem decken die Mitgliedstaaten einen riesigen Teil der Weltregion ab.

Die enge militärische Zusammenarbeit der SOZ-Staaten könnte die Türkei als Nato-Mitglied in ein Dilemma stürzen: Im Bündnisfall müsste sich Ankara auf die Seite der Nato stellen. Das hat auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unmissverständlich Richtung Ankara zur Sprache gebracht. Nur hat die Türkei mit der Nato derzeit ein kompliziertes Verhältnis, denn die Regierung fühlt sich im Kampf gegen Terrororganisationen – hier wird vor allem die verbotene kurdische PKK genannt – nicht genug von der transatlantischen Allianz unterstützt. Auch bilaterale Schwierigkeiten wirken sich auf die Nato-Bündnispartnerschaft aus, wie der laufende Zwist zwischen Berlin und Ankara um die Anwesenheit der Bundeswehr in der südtürkischen Nato-Basis Incirlik gezeigt hat.

Offene Arme in China und Russland

Peking und Moskau würden die Türkei in der SOZ jedenfalls willkommen heißen, das haben beide Staaten bereits signalisiert. Zu den sechs Mitgliedern werden schon bei dem nächsten Gipfel in Astana im Sommer vermutlich Indien und Pakistan aufgenommen, weitere Länder wie der Iran, Afghanistan, die Mongolei und Weißrussland befinden sich im Beobachterstatus. Ankara hingegen hat den Titel „Dialogpartner“ und ist somit noch nicht im Beitrittsprozess. Der türkische Whistleblower Fuat Avni, der mit seinen Enthüllungen auf Twitter die Regierung zur Weißglut bringt, schrieb bereits im Juli, dass Erdoğan die Aufnahme in die Shanghaier Organisation beschleunigen will. Und regierungskritische Beobachter spötteln schon, dass Erdoğan in diesem „Klub der Autokraten“ gut aufgehoben sei.

In den Osten blickt Ankara schon lange. Seit drei Jahren nimmt die Türkei an Treffen der Asean-Außenminister teil – und baut die bilateralen Verträge mit südostasiatischen Mitgliedstaaten des Verbands aus, der übrigens als Gastteilnehmer bei SOZ-Meetings dabei ist. So sehr sich der Fokus nach Asien verschieben mag, auf die EU kann Ankara nicht verzichten. Das Land ist seit vergangenem Jahr nach den USA, China und der Schweiz der viertwichtigste Handelspartner der EU und hat somit Norwegen und Russland überholt. Der größte ausländische Investor zwischen Bosporus und Diyarbakır ist die Bundesrepublik Deutschland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)

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