Rot-Blau – eine Annäherung

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�1-KLARTEXT ´ROT-BLAU - EINE VERSUCHUNG´ : KERN / STRACHE(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Hat Christian Kern nun Alexander Van der Bellens Sieg verspielt? Oder nützt es ihm sogar? Über die Auswirkungen des Flirts der SPÖ mit der FPÖ auf die Präsidentenwahlen und die Bundespolitik. Wobei: So ganz neu ist das alles ja nicht.

Eineinhalb Wochen vor der Präsidentenwahl setzt sich SPÖ-Chef Christian Kern mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ins Radiokulturhaus und sagt dort – übertragen von Funk und Fernsehen – Sätze wie: „Ich respektiere es, dass es Herrn Strache auch darum geht, das Land voranzubringen.“ Freundlicheres hat schon lang kein politischer Gegner mehr, vor allem keiner von der Spitze der Bundespartei der SPÖ, zum Chef der Freiheitlichen Partei – und damit auch zu dessen Wählern – gesagt.

Wenn der Vorsitzende der SPÖ nun also so gut mit dem Oberhaupt der Blauen kann, dann kann doch auch der Kandidat der Blauen für die Hofburg nicht so schlimm sein, könnte sich nun manch unentschlossener Wähler, insbesondere aus dem Sympathisantenkreis der SPÖ, denken. Hat Christian Kern also am Mittwochabend die Siegeschancen Alexander Van der Bellens verspielt, um seine eigenen bei den kommenden Nationalratswahlen zu erhöhen? Kann durchaus sein.

Es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein. Protestwähler könnten – besänftigt von den neuen Tönen des SPÖ-Kanzlers – davon Abstand nehmen, sich am „Establishment“ mit der Wahl Norbert Hofers zu rächen. Immerhin war die kurz davor erfolgte Kür Christian Kerns zum SPÖ-Chef im Mai wohl ein mitausschlaggebender Faktor gewesen, dass Van der Bellen die erste Stichwahl gewonnen hat. Der Ärger über das Ancien Régime unter Werner Faymann war bei so manchem verraucht, als der neue, frische Kanzler Aufbruchsstimmung vermittelte.

Keine Donnerstag-Demo

Mit der Aufbruchsstimmung in der Regierung ist es allerdings vorbei. Dafür scheint Christian Kern – Bundespräsidentenwahl hin oder her – in der SPÖ für eine solche zu sorgen, indem er taktisch das Tor zur FPÖ öffnet und solcherart neue Mehrheiten in Aussicht stellt. Die rechten Sozialdemokraten freuen sich, die linken sind auffallend ruhig. Eine Donnerstag-Demo, um Rot-Blau schon im Ansatz zu verhindern, fand gestern jedenfalls nicht statt.

Als Hans Niessl im Vorjahr auf Landesebene eine Koalition mit der FPÖ einging, hatte es noch größere Aufregung in der SPÖ gegeben. Allerdings war sie bei Weitem nicht so groß wie seinerzeit bei Schwarz-Blau in der Bundesregierung. Bei der Angelobung vor dem Eisenstädter Landesparlament fanden sich im Juli 2015 nur ein paar Demonstranten ein.

Niessl darf sich nun bestätigt fühlen. Der viel Gescholtene, nicht ernst Genommene und ins rechte Eck Gestellte war seiner Partei – nach der Flüchtlingspolitik – wieder einmal einen Schritt voraus. Der biedere Burgenländer als Avantgardist der Sozialdemokratie – wer hätte das gedacht?

Dabei kommt die rot-blaue Variante freilich nicht aus dem Nichts. 1970 hatte sich Bruno Kreisky seine Minderheitsregierung von der FPÖ Friedrich Peters tolerieren lassen. 1983 gab es – wiederum eingefädelt von Bruno Kreisky – eine offizielle rot-blaue Koalition unter Kanzler Fred Sinowatz. Der abtretende Kreisky sah den Fortbestand seines Erbes so am ehesten gewährleistet.

Auch Franz Vranitzky, der auf Sinowatz folgte, regierte dann noch mit der FPÖ weiter. Allerdings nur so lang, bis Jörg Haider Vizekanzler Norbert Steger von der Parteispitze putschte. Seither galt die „Vranitzky-Doktrin“: Keine Koalition mit der FPÖ.

Allerdings wurde diese auch nicht durchgehend eingehalten. Auf der Gemeindeebene sowieso nicht, aber auch auf Landesebene nicht. 2004 kam es in Kärnten zu einer blau-roten Koalition unter Jörg Haider und Peter Ambrozy. 2015 dann eben im Burgenland. Und nun scheint dieser „antifaschistische Schutzwall“ aus moralischen und weltanschaulichen Gründen endgültig zu bröckeln.

Faymann hielt Vranitzky-Doktrin hoch

Für Werner Faymann war dieses „Niemals mit der FPÖ“ eines seiner wenigen Assets. Der (noch) wesentlich beliebtere Christian Kern kann es sich leisten, diesen Slogan zu verräumen. Hätte Faymann dasselbe wie nun Kern getan, es hätte eine Revolte gegeben und die Partei zerrissen. Kern lässt man das durchgehen. Zur Beruhigung sagen sich viele Genossen vor, es sei ja nur aus taktischen Gründen.

Und das ist es auch: Mit der FPÖ hat die SPÖ eine Option mehr und ist nicht mehr nur der ÖVP ausgeliefert. Und wenn die SPÖ ihre früheren Wähler von der FPÖ zurückgewinnen will, dann bringt es auch wenig, deren neue politische Heimat – und damit sie selbst – zu beschimpfen. Sondern es empfiehlt sich eher, eine Brücke zu bauen, Gemeinsamkeiten zu betonen und sich als attraktivere Alternative zu präsentieren.

Genau das hat Christian Kern getan. Ob es etwas bringt, wird man sehen. Als Erster wird es Alexander Van der Bellen erfahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)

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