Martin Schulz verlässt das EU-Parlament und kandidiert nächstes Jahr für den Bundestag – womöglich als Spitzenkandidat der SPD. Die Entscheidung liegt bei Parteichef Sigmar Gabriel. Davor dürfte er aber Außenminister werden.
Berlin. Die Wahrscheinlichkeit, dass Martin Schulz der nächste deutsche Außenminister wird, wenn Frank-Walter Steinmeier nach der Wahl am 12. Februar ins Bundespräsidentenamt wechselt, ist am Donnerstag deutlich gestiegen. Das lag zunächst an Schulz selbst, der bekannt gab, Brüssel Anfang nächsten Jahres Richtung Berlin verlassen zu wollen.
Das lag aber auch daran, dass sich ein hochrangiger SPD-Politiker verplapperte. „Deutschland bekommt mit Frank-Walter Steinmeier einen tollen neuen Bundespräsidenten und mit Martin Schulz einen kompetenten und international anerkannten Nachfolger als Außenminister“, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, der Deutschen Presse-Agentur. Die Frage ist also nicht mehr, ob Schulz Außenminister wird. Sondern: ob er nur Außenminister oder auch Kanzlerkandidat der SPD wird.
Er selbst ging vorerst nicht näher darauf ein, weder in einer Pressekonferenz Donnerstagfrüh in Brüssel, in der er seinen Abschied auf Deutsch, Englisch und Französisch erklärte. Noch in einer schriftlichen Stellungnahme, die im Lauf des Tages veröffentlicht wurde. Der Rheinländer sagte nur, dass er im Herbst nächsten Jahres auf dem ersten Listenplatz der nordrhein-westfälischen SPD für den Bundestag kandidieren wolle.
Gabriel und die Familienplanung
Dass sich einer, der in den vergangenen fünf Jahren Präsident des EU-Parlaments war, mit einem schlichten Bundestagsmandat begnügen würde, kann einmal ausgeschlossen werden. Für das Außenministerium brächte Schulz die nötigen Fähigkeiten und reichlich Erfahrung mit. Aber Kanzlerkandidat?
Das Vorrecht in der SPD hat nach wie vor Parteichef Sigmar Gabriel. Überhaupt jetzt, da er Steinmeier bei Kanzlerin Angela Merkel für das höchste Staatsamt durchgesetzt hat. In der Partei rechnet man ihm das als taktische Meisterleistung hoch an. Der ungeliebte, oft kritisierte und manchmal sogar belächelte Gabriel müsse nur noch zugreifen, heißt es.
In diese völlig neue Situation hinein platzte nun eine Nachricht. Nicht die von Schulz, sondern eine aus Gabriels Privatleben: Im Frühjahr wird der 57-Jährige erneut Vater. Mit seiner zweiten Ehefrau hat er bereits eine vierjährige Tochter.
Auf den ersten Blick ist das politisch irrelevant. Auf den zweiten nicht. Denn Gabriel zweifelt. An sich. Und an den Chancen der SPD, Merkel zu schlagen. Er hadert mit der Kandidatur. Sollte er Schulz den Vortritt lassen, hätte er zumindest eine Erklärung parat: Er wolle sich jetzt mehr um die Familie kümmern. Und vielleicht ist das nicht nur eine Erklärung, vielleicht will er das ja wirklich.
Schulz' Zukunftspläne setzen Gabriel noch mehr unter Druck – und auch die Partei. Eigentlich wollte die SPD diese Personalie erst bei einer Vorstandsklausur Ende Jänner klären. An diesem Vorhaben, versicherte Generalsekretärin Katarina Barley am Donnerstag, habe sich nichts geändert. Allerdings konnte die SPD in der Vergangenheit nur selten ihren Zeitplan einhalten, wenn es darum ging, einen Spitzenkandidaten zu finden. Merkel hat am Sonntag erklärt, dass sie eine vierte Periode als Kanzlerin anstrebt. Bis Ende Jänner sind es noch zwei Monate. Viel Zeit, um die Wahlkampfbühne der CDU zu überlassen. Andererseits ist Schulz noch bis 17. Jänner im Amt. Erst da wird im Europa-Parlament sein Nachfolger gewählt (siehe nebenstehenden Bericht). Er wäre also rechtzeitig zur Vorstandsklausur der SPD in Berlin.
Zum (angekündigten) Abschied gab es am Donnerstag eine Menge Pathos in Brüssel: Das europäische Einigungswerk sei „die größte zivilisatorische Errungenschaft der vergangenen Jahrhunderte“, sagte Schulz, der sich vom Buchhändler hochgearbeitet hat. Er wolle künftig „von der nationalen Ebene aus für das europäische Projekt kämpfen“. Alle anderen Fragen werde er demnächst beantworten.
Doppelspitze nicht ausgeschlossen
Das Kanzleramt würde sich Schulz jedenfalls zutrauen. Aber er soll mit Gabriel vereinbart haben, nur dann anzutreten, wenn der Parteivorsitzende nicht will. Wobei auch eine Doppelspitze zumindest nicht ausgeschlossen ist. Allerdings wäre dann nicht klar, wer von beiden die Kanzleralternative zu Merkel sein soll. Das könnte die Wähler verwirren.
Eine aktuelle Umfrage besagt, dass die SPD mit Schulz an der Spitze bessere Chancen gegen Merkel hätte als Gabriel. Laut dem Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid, das am Dienstag und am Mittwoch im Auftrag der Funke Mediengruppe 1000 Personen befragt hat, sind 42 Prozent der Ansicht, dass sich der scheidende EU-Parlamentspräsident gegen die Kanzlerin durchsetzen könnte. Von Gabriel glauben das nur 35 Prozent. Bei den SPD-Anhängerin ist das Ergebnis noch deutlicher: 54 Prozent sprachen sich für Schulz aus, aber nur 41 Prozent für Gabriel.
Sollte am Ende doch der Parteichef Spitzenkandidat werden, hat sich die Bundestagsfraktion der SPD laut „Süddeutscher Zeitung“ schon einen passenden Slogan ausgedacht: „Die CDU hat Mutti, wir haben Papi.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)