Düsterer Prunk, ein neuer Kaiser

Erzherzog Carl Franz Joseph, ab dem 21. November 1916 Kaiser Karl I.
Erzherzog Carl Franz Joseph, ab dem 21. November 1916 Kaiser Karl I.(c) „Das interessante Blatt“/Sammlung hws
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Aus dem Erzherzog-Thronfolger wurde über Nacht der Allerhöchste Kriegsherr. Im Alter von 29 Jahren stand der neue Herrscher mitten im Krieg vor unlösbaren Aufgaben.

Der Morgen des 30. November 1916 ist bitterkalt. Dieser Tag ist im kollektiven Gedächtnis Österreichs verankert: Man trägt Kaiser Franz Joseph I. zu Grabe. Mit allem Pomp, den die Reichshaupt- und Residenzstadt noch einmal, ein letztes Mal, aufbieten kann. „Beweint von seinen Völkern, geleitet von dem Trauergefolge deutscher Bundesfürsten und dem König der Bulgaren, hielt der Kaiser Einzug in die Kapuzinergruft, um in der Reihe seiner Ahnen in Ewigkeit zu schlummern“, beschreibt das „Interessante Blatt“ in Wort und Bild das Spektakel.

„Alleen schwarzer Fahnen ziehen sich durch die Straßen. Von den Palastfronten der breiten, vereinsamten Gassen und Plätze, von den glänzenden Kaufhäusern an den Hauptverkehrsstraßen der Stadt hängen die dunklen Symbole der Trauer [. . .] Vor einer Kunsthandlung staut sich der buntbewegte Strom der Passanten. Kaiserbilder sind da in reicher Anordnung zur Schau gestellt [. . .] Die Menschen schauen und schauen, kommen und gehen. Stille Ergriffenheit spiegelt sich auf den Gesichtern [. . .] Er war unser aller Vater, deshalb brennen die Totenlichter so bitteres Weh in die Herzen.“

Der Trauerkondukt

Die düstere Gala-Leichenkutsche aus der Schönbrunner Wagenburg, gezogen von acht Rappen, fährt den Sarg von der Hofburgkapelle über den Heldenplatz zur Ringstraße. „Das Militärspalier leistet die Ehrenbezeugung ohne Spiel und Kommando, die schwarzumflorten Fahnen senken sich.“

Bei der Urania biegt der Kondukt nach links ab auf den Kai, dann geht es durch die Rotenturmstraße zum Stephansdom, wo der Leichnam, der in die Uniform eines Feldmarschalls gehüllt ist, von Kardinal Piffl eingesegnet wird. „Das Innere des Domes prangt in tiefstem Trauerschmucke, alle Lichter der Dombeleuchtung brennen, zahllose Kerzen auf den Kandelabern, die den hohen Katafalk umgeben [. . .] In der ersten Reihe das Kaiserpaar, der Kronprinz, König Ludwig und Königin Therese von Bayern, König Friedrich August von Sachsen, König Ferdinand von Bulgarien, der deutsche Kronprinz, der türkische Thronfolger, der Kronprinz von Schweden, Infant Ferdinand von Spanien, Prinz Waldemar von Dänemark und Herzog Philip Albrecht von Württemberg [. . .] Dahinter alle Mitglieder des Kaiserhauses, zahlreiche deutsche Fürsten, die Hofstaaten, das Diplomatische Corps und fremde Militärmissionen.“

Der kleine Bruno Kreisky fror

In der Menschenmenge fror damals auch ein Fünfjähriger, dem zeitlebens dieser Trauerkondukt im Gedächtnis bleiben sollte: Bruno Kreisky. „Es war ein eiskalter, grausiger Tag, und wir froren entsetzlich. Als der Trauerzug endlich herankam, schien es mir, als fülle sich die ganze Welt mit Schwarz. Es war eine einzige Demonstration der Schwärze, und in den Gesichtern der Menschen waren Schmerz und Sorge zu lesen: Was mochte jetzt werden? Es war ein Tag der Kälte und Düsternis in jedem Sinne, und noch in der Erinnerung hat er etwas Unheilvolles . . .“

Danach folgen die Trauergäste dem einstigen Herrscher auf seiner letzten Fahrt über den Kohlmarkt zur Kapuzinergruft. Hinter dem Sarg die tiefverschleierte Kaiserin Zita, der neue Kaiser Karl in Uniform, dazwischen wie ein Strahl der Hoffnung mitten im Weltkrieg ihr Kind: der vierjährige Kronprinz Otto in einem weißen Matrosenanzug. Das Bild ist weltberühmt geworden.

Schlagartig war nun das Interesse der Weltöffentlichkeit auf den nicht einmal noch dreißig Jahre alten neuen Herrscher Österreich-Ungarns gerichtet. Sein Start mitten im Weltkrieg hätte nicht unglücklicher sein können. Militärisch war er einigermaßen im Bilde: Zunächst war er als Thronfolger ins Armeeoberkommando gesetzt worden, womit der Generalstabschef, Franz Conrad, wenig Freude hatte. Dass ihm der oberste Militär (nachträglich) nicht einmal die Kenntnis des Alphabets zubilligte, zeigt diese Distanz überdeutlich. Später wurde der Erzherzog Kommandant des XX. Korps im Verlauf der Südtiroloffensive, kurz darauf als Kommandant der 12. Armee an der russischen Front, einer Armee, die allerdings nie effektiv geworden ist, und schließlich als Heeresgruppenkommandant im südlichen Abschnitt der Ostfront. Doch niemand, auch der alte Kaiser nicht, hatte sich die Mühe gemacht, ihn in die politischen Probleme der Monarchie einzuführen. Er war guten Willens, aber sicher völlig überfordert.

Eines kann man ihm aber nicht absprechen: Er hatte schon längst erkannt, dass dieser Krieg für die Monarchie nicht zu gewinnen war. Man müsse Schluss machen, sobald Franz Joseph gestorben sei. Schon am Beginn des Krieges hatte der Generaladjutant Erzherzog Friedrichs, Graf Herberstein, eine Äußerung notiert: „Wir ärgerten uns sehr über die ganz kindischen, sinnlosen und deplacierten Bemerkungen des Erzherzogs Karl, der über ,die Preußen‘ und speziell über Hindenburg in sehr derber Weise schimpfte.“

Und als der Krieg ins zweite Jahr ging, meinte der Thronfolger in vertrautem Kreise, er verstehe nicht, „warum wir uns so bemühten, da doch alles umsonst sei, der Krieg nicht gewonnen werden könne und er selbst froh sein werde, wenn ihm ein Palais in Wien bleibe“.

Keine Schonfrist

Nun, über Nacht Kaiser eines Vielvölkerstaates geworden, brach alle Not über den jungen Mann herein, der als Stütze nur seine Gemahlin, Zita, hatte. Er bekam keine Schonfrist zugebilligt, denn auch der Krieg erfuhr keine Unterbrechung. Von der ersten Stunde an, in der sich der neue Kaiser einen Überblick zu verschaffen suchte, stürzten die Probleme auf ihn ein. Und zu allem Überdruss fanden am 27. November, nicht einmal eine Woche nach dem Tod des alten Kaisers, in mehreren österreichischen Orten Hungerkrawalle statt.

Eva Demmerle und Manfried Rauchensteiner haben in ihren Werken das Dilemma Karls sehr deutlich beschrieben: Er hatte vom alten Kaiser eine völlig erstarrte Monarchie geerbt. Alle Rufe der Ungarn und der anderen Völker der Donaumonarchie nach mehr Rechten und Selbstbestimmung waren von Franz Joseph unerhört geblieben. Ebenso alle Warnungen, das österreichische Kaiserhaus solle sich nicht blindlings dem Kriegsbündnis mit dem Deutschen Reich ausliefern.

Viel zu hohe Erwartungen

Doch Karl fehlte es noch an Statur. Er hatte nicht jenes Charisma, das den altgedienten Vorgänger umgab. „Er war vom ersten Tag an angreifbar, musste es sein und setzte sich auch der Kritik und schließlich den Angriffen aus. Er exponierte sich geradezu“, schreibt Rauchensteiner.

Noch etwas kam hinzu: Karl war mit all jenen Erwartungen konfrontiert, die man in junge, noch unverbrauchte Leute setzt. Aber alle wollten den Kaiser an seinen Erfolgen messen und niemand konzedierte ihm seine Unerfahrenheit. Sie orientierten sich an der ersten Proklamation, in der Karl feierlich versprochen hatte, den Schrecken des Kriegs zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Ende zu setzen und die Segnungen des Friedens seinen Völkern wiederzubringen.

Erzherzog Friedrich abgelöst

Interessant erscheint, dass Viktor Adler, der Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, den jungen Mann, der nur zwei Jahre lang Kaiser war, recht positiv beurteilte. Er meinte, Karl habe nie eine wirkliche Chance gehabt, obwohl er den richtigen Pfad be-schritt und das Herz am rechten Fleck hatte. Sein Dilemma war, dass er versuchen sollte, 1. gegen den Krieg und für den Frieden zu kämpfen; 2. eine möglichst schon durch eine Reichsreform konsolidierte Monarchie heil aus diesem Krieg herauszuführen und 3. die deutsche Dominanz abzuschütteln. An allen drei Aufgaben musste er scheitern.

Doch so weit sind wir noch nicht in unserer Erzählung. Zunächst wurden am 24. November die Truppen auf den neuen Herrscher eingeschworen. Und am selben Tag erhielt Franz Conrad die Weisung, einen Armee- und Flottenbefehl auszuarbeiten, mit dem der Kaiser die persönliche Übernahme des Oberbefehls bekannt gab. Damit löste er seinen Verwandten Erzherzog Friedrich (60) ab, den er schlicht einen „Deppen“ nannte. Dieser, einer der reichsten Männer der Monarchie, war zwar beleidigt, aber doch auch erleichtert. Karl Kraus hat diesen Nichtsoldaten in den „Letzten Tagen der Menschheit“ beißend zur Karikatur gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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