Ein Fest voll Toleranz - und Werbekitsch

(c) FABRY Clemens
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Es ist wieder so weit: Weihnachtswerbungszeit! Rührselige und lustige Videos sollen zum Kaufen animieren und Festtagsstimmung verbreiten. Den schönsten Spot des Jahres liefert Amazon Prime: intelligent, amüsant, hochaktuell.

So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“, sagt der Dichter Torquato Tasso in Goethes Drama – und hat sich damit (wenn auch in leicht abgewandelter Form) im allgemeinen Sprachgebrauch verewigt. So gesehen müsste man sich vor jeder Werbung hüten – denn die Absicht ist in diesem Genre ja unverkennbar. Aber die Verstimmung stellt sich nicht zwangsläufig ein, zumal sich die Kreativen auch einiges einfallen lassen, um den Leser, Hörer oder Zuseher mit Werbung emotional anzusprechen und zu unterhalten. Und um aufzufallen, versteht sich. „Die Presse am Sonntag“ hat sich auf YouTube umgesehen . . .

Treffen sich ein Priester und ein Imam

Der beste Spot des Jahres ist eigentlich keine Weihnachtswerbung, sondern der neueste Teil einer laufenden Kampagne für Amazon Prime. In dem Werbevideo treffen einander zwei befreundete Geistliche – ein Priester und ein Imam – zum Tee und bemerken ächzend, dass sie beide mit den Knien Probleme haben. Das bringt sie auf die gleiche Idee: Im Onlineversand bestellt jeder Knieschützer für den anderen, die sie später lächelnd anlegen, bevor sie zum Gebet schreiten. Die Kampagne verzichtet auf eindringliche Bilder, sie kommt mit Klavierbegleitung und ohne Worte vergleichsweise leise daher, verfehlt aber ihre Wirkung nicht. In weniger als eineinhalb Minuten wird ein Aufruf zu Toleranz amüsant und authentisch vermittelt: Die Darsteller sind tatsächlich Geistliche. Amazon Prime hat seine Werbebotschaft wirkungsvoll und sympathisch verpackt.

Auch Apple wirbt mit einem Spot gegen Ausgrenzung – und erzählt ein Weihnachtsmonstermärchen: Darin macht sich Frankensteins Kreatur hinkend auf den Weg von der einsamen Hütte in die Stadt, nimmt vor dem Weihnachtsbaum Aufstellung, montiert zwei bunte Glühbirnen an seinem Hals und singt zur Musik der Spieluhr, die er vorher am iPhone aufgenommen hat: „There is no place like home for the holidays . . .“ Die Passanten stimmen ein, Frankie hat Tränen in den Augen und Apple appelliert: „Open your heart to everyone!“ Das ist Kitsch à la Hollywood. Aber nett.

Und überall fällt Schnee. Weihnachtswerbung, das hat immer auch mit den Wünschen und Hoffnungen zu tun, die wir mit uns herumtragen. Einer wird in hiesigen Großstadtlagen immer seltener erfüllt: der Wunsch nach weißen Weihnachten. Dafür schneit es in den Spots unaufhörlich. Im Coca-Cola-Video ist es so kalt, dass ein Junge die Flaschen durch die ganze Stadt fahren kann, ohne dass die Eiswürfel im Leiterwagen schmelzen: Er verschenkt sie alle, die letzte an den Weihnachtsmann. „For Santa“, steht auf einem Zettel – das Rentier draußen schleckt sich die Lippen . . .

Während Coca-Cola auf kindliches Weihnachtsfeeling setzt, nimmt Rewe die gestresste Hausfrau augenzwinkernd aufs Korn: „Meine Mutter kommt zu Weihnachten“ – ein kurzer Satz löst Panik aus. Zu Gloria Gaynors „I Will Survive“ kämpft die Frau ums kulinarische Überleben und gegen die fantasierte Schwiegermutter, die hinter dem Christbaum und im Kasten auftaucht. Als die dann den ersten Bissen der Weihnachtsente in den Mund steckt, stockt allen der Atem: „Scheiße“ – alles scheint verloren! – „. . . ist das lecker.“

Tränen der Rührung und NS-Symbolik

Originalität, Humor, Emotion – das sind Merkmale, die einen Spot auch viral erfolgreich machen. Wie jenen von Edeka 2015: Darin verschickt ein alter Mann, dem die Familie für Weihnachten abgesagt hat, seine eigene Todesanzeige – und vereint so die Familie. Statt des Begräbnisses gibt's Entenbraten, man ist zu Tränen gerührt. Der Spot war ein Hit in sozialen Medien.

Edeka liefert aber auch den Beweis, dass Werbung einen Imageschaden anrichten kann: Der Weihnachtsspot 2016 ist wenig originell – eine „Kinder wollen Aufmerksamkeit“-Story. Und er steht in der Kritik. Eine Extremismusexpertin der Uni Hamburg will Nazi-Symbolik entdeckt haben: Die Auto-Kennzeichen im Spot sind „MU-SS 420“ und „SO-LL 3849“ – die Kombination SS ist auf deutschen Nummerntafeln aber verboten. 420 gilt als Abkürzung für Hitlers Geburtstag, auch die andere Nummer lasse sich im NS-Kontext deuten. Edeka entschuldigte sich: Das sei keine Absicht gewesen. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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