Was bei einem Ende der Globalisierung auf dem Spiel steht

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Trumps Sieg ist ein schwerer Schlag für den freien Welthandel. Warum er ein Segen ist - und dennoch an Wahlurnen scheitert.

Make America great again“: Unter diesem Schlachtruf will Donald Trump die Wirtschaft der Vereinigten Staaten gegen unliebsame Konkurrenz von außen abschotten. Im Wahlkampf hat der künftige US-Präsident versprochen, bis zu 45 Prozent Importzoll für Produkte aus China einzuführen. Als Rache dafür, dass dieses aufstrebende Schwellenland den Niedergang der US-Industrie bewirkt habe. Attacken gegen den Freihandel waren ein zentrales Thema in Trumps Kampagne, und jetzt macht der polternde Populist ernst: Als seine erste Amtshandlung will er das Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) aufkündigen. Ein vermutlich tödlicher Stoß gegen den Freihandel in jener Weltregion, die sich wirtschaftlich am kräftigsten entwickelt. Ausgerechnet China, das kein Mitglied im Klub ist, kann sich die Hände reiben und die klaffende Lücke füllen. Endgültig gestorben ist damit auch das lang verhandelte TTIP-Abkommen mit Europa. Zölle rauf, Zäune hoch, so lautet die neue Devise: „Schluss mit der Globalisierung – America first“.

Globalisierungsgegner in aller Welt könnten zufrieden sein. Sie bekommen nun, was sie seit Langem lautstark fordern: eine Rückabwicklung der Öffnung der Weltmärkte, von der die vergangenen drei Dekaden geprägt waren. Was hat sie gebracht? Und wozu kann die Gegenrevolution führen?

Besiegte Armut. Mehr Austausch von Waren, Kapital und Arbeitskräften: Das gibt es, mit Wellen und Rückschlägen, schon seit Jahrhunderten. Die jüngste Phase aber, die in den 1980ern begann, war von besonderer Kraft und Wirkung. Ihre Treiber waren die Öffnung Chinas und der Fall des Eisernen Vorhangs. Ganz Südostasien, Indien und Lateinamerika wurden davon erfasst. Weit über eine Milliarde Menschen konnten sich aus der bitteren Armut befreien (davon allein 700 Millionen in China). Nicht durch Spenden oder Entwicklungshilfe, sondern durch ihre Einbindung in die Wertschöpfungsketten der Weltwirtschaft. Der Anteil jener, die mit dem Existenzminium auskommen müssen, ist von fast 40Prozent auf unter zehn Prozent der Weltbevölkerung gesunken, so wenig wie noch nie. Als „größtes Wohlfahrtsprojekt der Menschheitsgeschichte“ hat Österreichs Kanzler, Christian Kern, die Globalisierung deshalb jüngst bezeichnet.

Gestandene Gegner lassen sich davon nicht beindrucken. Nur multinationale Konzerne, behaupten sie, hätten vom wachsenden Welthandel profitiert, und beklagen ausgebeutete Arbeiter in ausgelagerten Fabriken. Wissen sie es besser als die Menschen vor Ort? Von Indien bis Indonesien halten 70 bis 90 Prozent der Bürger die Globalisierung für eine positive Kraft, zeigt eine aktuelle Yougov-Umfrage. Der Klage über einseitige Bereicherung stehen Fakten entgegen. Die Welt als Ganzes ist durch die Globalisierung sozial gerechter geworden. Seit der industriellen Revolution hatte sich der Reichtum immer ungleicher über die Erde verteilt: Während der Westen zu immensem Wohlstand gelangte, stagnierte der Rest. Erst seit den Achtzigerjahren, dem Startschuss zum jüngsten Globalisierungsschub, ist der unheilvolle Trend gebrochen. Seitdem entwickeln sich die Schwellenländer stürmisch, in den westlichen Industriestaaten bleibt es bei moderatem Wachstum. Die Folge: Die globale Ungleichheit geht zurück (siehe Grafik).

Was umgekehrt bedeutet: Wenn sich reiche Staaten künftig von der Konkurrenz der ärmeren abschotten, rauben sie ihnen die Chance, zu ihrem Wohlstandsniveau aufzuschließen. Was wiederum rechte Globalisierungsgegner mit den Schultern zucken lässt. Sie haben ja, „zuerst“ oder allein, nur das Wohl ihrer Nation im Sinn. Und es stimmt: In den meisten Industriestaaten sind die Einkommen heute ungleicher als vor zwei Jahrzehnten verteilt. Woran liegt das? Den Stand der Forschung fasst die OECD so zusammen: Der wichtigste Treiber ist der rasante technologische Fortschritt. Einfache Tätigkeiten werden ersetzt. Wer die Maschinen bedienen oder die Software schreiben kann, hängt die anderen ab.

Verdrängte Verlierer.
Aber zu immerhin rund 20 Prozent ist auch die Globalisierung für Spreizungen bei den Einkommen verantwortlich. Wer bei einem deutschen Autobauer oder seinem österreichischen Zulieferer arbeitet, profitiert vom weltweiten Absatzmarkt für hochwertige Automobile und verdient gut. Wer seinen Arbeitsplatz in der Textilindustrie verloren hat, weil T-Shirts heute aus Billigländern kommen, und keinen guten Umstieg schafft, verdient schlechter. Eine neue Erzählung dominiert nun die Kommentarspalten: Es gibt Verlierer der Globalisierung, man hat auf sie vergessen, und nun schlagen sie zurück, als entfesselte Wutbürger an den Wahlurnen.Hier aber heißt es innehalten.

Zunächst: Es gibt immer Verlierer. Wollte man deshalb Wettbewerb und Wandel verhindern, gäbe es keinen Fortschritt. Entscheidend ist: Profitiert ein Land, eine Volkswirtschaft in Summe vom Wandel? Und wenn ja: Wie kann der zusätzliche Wohlstand möglichst vielen zugutekommen? Womit die Volkswirte am Wort sind. Der gedankliche Gegenpol zu Donald Trump war David Ricardo. 1817 formulierte der britische Nationalökonom sein frohgemutes Credo vom Segen der internationalen Arbeitsteilung: Wenn sich jedes Land auf das spezialisiert, was es relativ zu den anderen am besten und günstigsten machen kann, und man dann miteinander Handel treibt, fördert das den Wohlstand aller. Daran ist nicht zu rütteln – jedenfalls auf lange Sicht. Auch Ricardo hätte nicht geleugnet, dass es vorübergehend Verlierer gibt. Bis vor Kurzem gingen die Ökonomen davon aus, dass diese Anpassungen rasch und ohne größere soziale Kosten erfolgen. So war es auch in der Nachkriegszeit. Damals standen aber nur Hochlohnstaaten im Wettbewerb. Deutsche Autos und japanische Fernseher konnten die industrielle Basis Amerikas nicht erschüttern. Aber seit China die Bühne betreten hat, hat sich der Anpassungsdruck stark erhöht. Zwar hat jeder westliche Staat auch von diesem Schub profitiert, aber manche nur wenig, andere stark.

Österreich und Deutschland gehören zu den großen Profiteuren. Heimische Unternehmen haben die „kleine Globalisierung“ durch die Ostöffnung geschickt genutzt und damit für einen Wachtsumsschub gesorgt. Deutsche Exporteure gewinnen die neue Mittelschicht in Schwellenländern als Kunden. Was nicht heißt, dass der Druck durch technischen Fortschritt und Abwanderung von Firmen gering wäre. Das sieht man am Gini-Koeffizienten für die primären, auf dem Arbeitsmarkt erzielten Einkommen: Er ist in Österreich ähnlich stark gestiegen wie in den USA. Aber der Sozialstaat hat diesen Druck abgefedert: Das Ungleichheitsmaß für das verfügbare Einkommen, nach Umverteilung durch Steuern und Transfers, hat sich fast gar nicht verändert. Ganz anders in den USA, wo der doppelte Wandel fast ungebremst durchschlägt. Das Silicon Valley blüht auf, im Mittleren Westen verrosten die Maschinen. Dazu kommt: Die amerikanische Wirtschaft ist stärker auf ihren großen Binnenmarkt konzentriert und im Export schlechter aufgestellt. Importe nehmen zu, die Handelsbilanz ist stark negativ, Schulden wachsen rasant an. Entsprechend groß ist die Zahl der Verlierer auf dem Arbeitsmarkt, und sie sind auf sich allein gestellt. Zwar bleiben die meisten nicht arbeitslos: In den USA herrscht fast Vollbeschäftigung. Aber viele müssen sich mit schlecht bezahlten Jobs durchschlagen. Die mittleren Einkommen sind über einen längeren Zeitraum gesunken. Dass der Arbeitsmarkt wenig flexibel ist und der Umstieg zu zukunftsträchtigen Branchen oft nicht gelingt, liegt auch an sinkender Chancengleichheit im Bildungssystem. Damit schwindet die Hoffnung, dass es „die Kinder einmal besser haben“. Das schafft einen Leerraum an Perspektiven, in den Populisten wie Trump mit ihren großen, leeren Versprechungen vorstoßen – und Erfolg haben.

Akademisches Öl ins Feuer.
Wie gefährlich seine protektionistische Volte ist, lässt sich an der Debatte der Ökonomen ablesen. Befeuert wird sie vom nun viel zitierten Forschertrio Autor/Dorn/Hanson. Ihre Studien betonen, wie schlecht und langsam sich der US-Arbeitsmarkt anpasst. Aber sie gehenauch so weit zu behaupten, der Import aus China habe 2,4 Millionen Jobs gekostet. Das ist Wasser auf die Mühlen der Trump-Anhänger – auch wenn die Autoren beteuern, dass sie im Protektionismus die falsche Lösung sehen.

Die Ergebnisse sind umstritten. Schwer zu bewerten ist, wie gerade Ärmere von billigen Importwaren profitieren (wie „sozial“ ein Ende des grenzüberschreitenden Handels weltweit wäre, hat der britische „Economist“ ausrechnen lassen: Die ärmsten zehn Prozent eines durchschnittlichen Landes würden 63 Prozent ihrer Kaufkraft verlieren, die Reichsten nur 28Prozent). Als Erklärung für weniger Jobs in betroffenen Branchen muss allein China herhalten. Sie gehen aber auch durch die Automatisierung verloren. Und nicht nur China kann billig produzieren, sondern auch Vietnam, Indien oder Brasilien. Man muss das Was-wäre-wenn also konsequent zu Ende denken. Angenommen, Trump hätte schon 1990 das Weiße Haus gestürmt und den Handel mit China durch hohe Zölle auf dem damaligen Niveau eingefroren: Peking hätte zurückgeschlagen. Das hätte wohl einen globalen Handelskrieg entfacht. Diesen gab es schon in den Dreißigerjahren, er brachte den Welthandel fast zum Erliegen und ließ die Wirtschaft aus einer Rezession in eine lange Depression schlittern. Aber auch wenn man weniger schwarzmalt: Ein konsequenter Trump hätte den US-Importeuren schon damals auch alternative Quellen abdrehen müssen. Das heißt: gegen alle Länder Zollschranken hochziehen und zu einer Art wirtschaftlichen Autarkie zurückkehren. Man wird wohl schwer einen seriösen Ökonomen finden, der meint, den Amerikanern würde es dann heute besser gehen. Mehr noch: Es geht nicht nur um das kleine Plus an Wohlstand, das offene Märkte den USA in zwei Jahrzehnten gebracht haben. Denn es baut auf den enormen Segnungen des Außenhandels auf, die sich über Jahrhunderte kumuliert haben. Hätten sich schon die Gründerväter abgeschottet, würden die Amerikaner heute noch mit Pferdekutschen fahren.

Bei all dem gerät ein sehr berechtigtes Unbehagen an der Globalisierung aus dem Blick: den Missbrauch, den global agierende Unternehmen mit ihm treiben können – wenn sie grenzenlos fusionieren und Monopole bilden, ihre Gewinne dorthin verlagern, wo sie fast keine Steuern zahlen, oder dort produzieren, wo die Umweltgesetze besonders lax sind. Die Antwort darauf kann aber nur eine intensivere Abstimmung sein. Also auch im Politischen nicht weniger, sondern mehr Globalisierung. Auch das lehnt Trump vehement ab, multilaterale Verträge sind ihm ein Gräuel. Seine Handelspolitik zwingt uns allen eine andere Richtung auf: „Make the world small again.“ ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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