Anmerkungen zum Tod eines Diktators

Fidel Castro
Fidel CastroREUTERS
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Die Revolutionsromantik, die sich in manche Nachrufe auf Fidel Castro mischt, ist deplatziert. Der verklärte Comandante hat Kuba in den Ruin getrieben und seinem Volk Jahrzehnte gestohlen.

Die Welt ist im Umbruch. Alte Ordnungen und Gewissheiten lösen sich auf. Die Zeichen für die Zeitenwende verdichten sich: Finanzkrise, Schuldenkrise, Griechenland-Krise, Eurokrise, Krim-Krise, Syrien-Krise, Flüchtlingskrise, Brexit, die Wahl Donald Trumps und die Aussicht auf Marine Le Pen. Alles scheint auf einmal möglich. Offenbar ist eine gewaltige allergische Reaktion im Gang: ein zorniger Backlash gegen Liberalisierung und Globalisierung, gegen rasende wirtschaftliche, technologische, soziale und demografische Veränderungen, gegen die Eliten.

Inmitten dieser verunsichernden Endzeitstimmung wirkt die Nachricht vom Tod Fidel Castros wie ein Nachhall aus einer versunkenen Epoche, einem Atlantis auf dem Grund des Meeres. Denn in Richtung Sozialismus zeigt, Podemos und Syriza in allen Ehren, derzeit kein großer Wegweiser an der gegenwärtigen historischen Kreuzung. Als Antipoden treten vielmehr – wie im vormarxistischen 19. Jahrhundert – der Liberalismus und eine reaktionäre Gegenbewegung in Erscheinung, in der sich nationalistische, isolationistische, konservative und zum Teil auch autoritäre Stränge lose verbinden.

Der Kommunismus indes bleibt diskreditiert, im Orkus der Geschichte, nur noch ein irreführendes Firmenschild der turbokapitalistischen Diktatur in Peking. Dass dieses Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell nicht funktioniert, haben die Adepten von Marx, Lenin und Co. grausam bewiesen. Umso seltsamer mutet die Revolutionsromantik an, die sich in manche Nachrufe auf Castro mischt. Europäische Sozialdemokraten wie etwa auch Österreichs Nationalratspräsidentin Doris Bures erwähnten zwar pflichtschuldig die Verletzung von Menschenrechten und demokratischen Werten auf Kuba, doch auch bei ihr klang Bewunderung durch. Wie kaum ein anderer habe Castro die Hoffnungen von Millionen auf eine gerechtere Welt verkörpert, merkte die SPÖ-Politikerin an. Was immer sich die Millionen, zu denen sich offenbar auch Bures zählt, erträumt haben: In Kuba haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Castro errichtete eine unterdrückerische Despotie, sperrte Kritiker ein und trieb die Zuckerinsel in den wirtschaftlichen Ruin. Mit seinem ideologischen Starrsinn stahl er Kuba Jahrzehnte der Entwicklung.

Statt den Ausgleich mit dem reichen Nachbarn zu suchen, pflegte Castro die Feindschaft zu den USA, in die er sich nach der Revolution mit Enteignungen und seiner Verbrüderung mit der Sowjetunion ritt. Das brachte die Welt nach der Stationierung russischer Raketen auf Kuba 1962 an den Rand eines Atomkriegs. Vom unseligen Handelsembargo, das die USA schon zwei Jahre zuvor verhängt hatten, profitierte Castro letztlich politisch. Er hatte von da an eine bequeme Patenterklärung, um von seiner Verantwortung für die Misere in Kuba abzulenken.

Freiluftmuseum

Für Touristen mag es reizvoll sein, durchs KP-Freiluftmuseum unter Palmen zu wandeln. Dort zu leben ist weniger lustig. Hunderttausende Kubaner flüchteten seit 1959 aus dem Paradies. Sie suchten anderswo eine gerechtere Welt. Was nützt das ach so gute kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem, das die Internationale der Castro-Freunde gerne rühmt, wenn das durchschnittliche Monatseinkommen bei 20 Dollar liegt und kaum fürs Leben reicht. Bei allem Respekt vor der historischen Bedeutung Castros bietet dessen Tod auch Gelegenheit, einen Schlussstrich unter eine verlogene Revolutionsnostalgie zu ziehen.

Für Kuba selbst wird sich wenig ändern. Fidels Bruder Raúl hat die Zügel schon vor zehn Jahren übernommen und – zu zaghafte – Reformen eingeleitet. Vielleicht hätte sich die Aussöhnung mit den USA beschleunigt, wenn sie El Comandante nicht noch im Ruhestand gebremst hätte. Doch bald sitzt ein Präsident im Weißen Haus, der im Wahlkampf angekündigt hat, die von Obama eröffnete US-Botschaft in Havanna wieder zu schließen. Auch in dieser Welt im Umbruch hat Kuba schlechte Karten, wenn es sein Regierungssystem nicht umstellt.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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