Kuba nimmt den Tod Castros ruhig und gefasst auf. Er bedeutet im langsamen Kuba keine Kehrtwende.
Viele Menschen schliefen schon, und die Jungen zogen noch durch die Straßen, Kneipen und Clubs, als Staatspräsident Raúl Castro um Mitternacht in seiner olivgrünen Uniform am Schreibtisch sitzend im Staatsfernsehen kurz und knapp den Tod seines Bruders verkündete. Der Viersternegeneral gab sich Mühe, militärisch stramm zu wirken, am Ende rief er fast verzweifelt „Hasta la victoria siempre!“ in die Kamera. Damit hatte es sich, die TV-Sender stellten ihre Programme ein, lediglich auf einem Kanal war eine Schrifttafel mit Raúls Botschaft eingeblendet. Die Nacht war ruhig und Havanna bei Sonnenaufgang so schlaftrunken und friedlich wie eh und je.
Ein junger Fahrradtaxifahrer, der an einer Ecke in Centro Habana auf frühe Kundschaft wartete, zuckte leicht genervt mit den Schultern, als ihn eine vorbeigehende Bekannte fragte, ob er traurig sei. „Weshalb soll ich traurig sein? Traurig ist das, was er uns hier hinterlassen hast.“ Er. Das ist das Wort, das die Kubaner benutzen, wenn sie von Fidel reden. Seinen Namen sprechen die wenigsten aus – aus Respekt und Ehrfurcht oder aus Angst, Furcht oder gar Abscheu. Das war schon zu Lebzeiten so.
Er, der jahrzehntelang als unsterblich galt, ist nun gestorben. Die Stimmung am Tag danach in Havanna: für karibisch-kubanische Verhältnisse ruhig und gefasst, respektvoll bis teilnahmslos. Ein alter Mann, der an der Uferpromenade Malecón mit einem ausgefransten Besen mehr schlecht als recht die Abfälle der Nacht wegwischt, sagt müde: „Er war alt und krank, und sie haben ihn nur noch mit Pillen und was weiß ich alles am Leben erhalten. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Jetzt ist er weg. Das wars. In Miami werden sie wahrscheinlich jubeln, doch hier wird nichts passieren.“ Marlen von der Cafeteria Haifisch hofft nun, dass „jetzt, wo der große Bremser und Bruder tot ist, Raúl bei den Reformen einen Gang höher schaltet“.
Im Sommer 2006 musste der Revolutionsführer und Alleinherrscher seine Ämter krankheitshalber seinem Bruder, Raúl, übergeben, und von da an begann Fidels langsamer Tod. Kuba und die Welt konnten in Zeitlupe mitverfolgen, wie der Revolutionär und kalte Krieger schwächer und zittriger wurde. Fidel, die Ikone, der lebende Mythos, schrumpfte zu menschlicher Größe, zuletzt konnte er sich kaum mehr selbst auf den Beinen halten. Sein wahrer Gesundheitszustand war wie so vieles um und über ihn stets ein Staatsgeheimnis, doch sein Tod nur noch eine Frage der Zeit.
Ein paar Stunden nach der Todesnachricht war Fidel bereits Asche. In den Staatsmedien hat die Quasi-Heiligsprechung sofort begonnen. Offiziell spricht man nur vom „physischen Verschwinden“ eines Mannes, der ja ohnehin unsterblich bis in alle Ewigkeit ist. Ein böses Erwachen hat es in Kuba nicht gegeben und wird es auch nicht geben. Dafür hat der andere Castro gesorgt.
Raúl hat zehn lange Jahre Zeit gehabt, sich und sein Land auf diesen Moment vorzubereiten. Er hat Fidels Kuba nicht auf den Kopf gestellt, doch hinter den Kulissen genug getan, damit Kuba nach Fidels Tod nicht ins Wanken gerät. Castro II hat Fidels einstige Alleinherrschaft unaufgeregt, bedächtig und nahtlos in ein Militärregime umgewandelt, das die Politik, Wirtschaft und das Volk fest im Griff hat.
Fidel Castro war in Kuba und für die Kubaner über ein halbes Jahrhundert lang alles in einer Person: Führer, Vater, Patron, Patriarch, Lichtgestalt, Hassfigur. Fidel war die Revolution. Doch sie ist eigentlich schon lang vor ihm gestorben. ?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)