Brunnenmarkt: Eine Bluttat, die sich ankündigte

WIEN: PROZESS UM T�TUNGSDELIKT AM BRUNNENMARKT
WIEN: PROZESS UM T�TUNGSDELIKT AM BRUNNENMARKT(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Der 21-jährige Francis N. wird in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Er hat eine Frau mit einer Eisenstange brutal erschlagen. Die Tat wäre wohl zu verhindern gewesen.

Wien. Behördenversagen? Darüber will der Staatsanwalt nicht sprechen. Darum gehe es hier nicht, sagt er am Montag beim Prozess gegen den Kenianer Francis N. (21). Dass sich möglicherweise die Staatsanwaltschaft Wien selbst noch Vorwürfe gefallen lassen muss (und mit ihr auch andere Behörden) – dies ist dementsprechend kein Thema. Noch nicht.

Formal gesehen hat der Staatsanwalt recht: Kern des Prozesses ist die Frage, welche Konsequenz die Bluttat mit der Eisenstange (begangen am Brunnenmarkt in Wien Ottakring am 4. Mai 2016) für N. hat. Einstimmige Antwort der Geschworenen: N. soll in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden. Da der junge Kenianer an einer schweren Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis leide, sei er zurechnungsunfähig. Wäre N. zurechnungsfähig gewesen, wäre es eine Mord-Verurteilung geworden. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.

Die tödliche Attacke auf die 54-jährige Maria E., die sich auf dem Weg in die Arbeit befunden hatte (E. war Reinigungskraft), war so heftig, dass sowohl Ermittler als auch Sachverständige von einzigartiger Brutalität sprechen. N. war mit einer 11,5 Kilo schweren Eisenstange bewaffnet gewesen.

Opfer wechselte Straßenseite

Frau E. hatte noch eigens die Straßenseite gewechselt, um N. nicht in die Arme zu laufen, dieser aber hatte sich hinter den Marktständen unbemerkt genähert und sich der Frau in den Weg gestellt.

Verteidiger Richard Soyer sagt nun im Hinblick auf die Schizophrenie des Mannes: „Hätte man das früher erkannt, hätte das verhindert werden können.“

Die Anwälte der hinterbliebenen Kinder und des hinterbliebenen Lebensgefährten der Frau, Alfred Boran und Mathias Burger, sind dabei, mit der Republik Österreich einen Vergleich hinsichtlich eines Trauerschmerzengeldes abzuschließen. Vor Weihnachten soll dies erledigt sein. Derzeit sieht es nach einem niedrigen fünfstelligen Betrag aus. Der Wunsch der Hinterbliebenen sei aber vor allem: N. möge nie mehr in Freiheit kommen. Tatsächlich wird dies aber von einer Einschätzung der Ärzte abhängen. Nach einer Einweisung muss jährlich überprüft werden, ob sich der Gesundheitszustand des Betroffenen gebessert hat.

Derzeit sieht Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer bei N. eine „akute Gefährlichkeit“. Der Zustand des Mannes habe sich seit der Tat nur ein kleines bisschen gebessert, obgleich N. nun „seit einem halben Jahr die besten und teuersten Medikamente bekommt“.

N. selbst sagt nur so viel: „Ich habe eine Frau mit Metall geschlagen.“ Auf die Frage von Richter Ulrich Nachtlberger: „Haben Sie so etwas schon früher einmal getan?“, gibt er leise von sich: „Nein.“

So ganz dürfte dies aber nicht stimmen. Psychiater Dantendorfer führt an, dass zwei frühere Attacken auf Frauen (Mai, Juni 2015) aktenkundig seien. Diese waren zum Glück glimpflich, nämlich mit leichten Blessuren, verlaufen, hätten den Behörden aber Warnung sein müssen. Die potenzielle Gefahr dieser Eisenstangen-Angriffe war von der Staatsanwaltschaft damals wohl nicht als solche erkannt worden. Jedenfalls wurde keine U-Haft erwirkt. Auch ein Vorfall, bei dem N. mit heruntergelassener Hose, einer Axt und einem Hammer durch Döbling marschierte, ist aktenkundig.

Zweimal wurde N. bereits verurteilt, wegen Drogen- und kleineren Gewaltdelikten. Zwei Monate saß er in Haft. Am Brunnenmarkt war er wohlbekannt. Bei der Polizei war er vielfach angezeigt worden. Diese wartete zuletzt auf einen „Arbeitsauftrag“ der Staatsanwaltschaft. Letztere hatte den obdachlosen N. zur Aufenthaltsvermittlung ausgeschrieben. Da der Mann vielen Passanten immer wieder auffiel, hätte er wohl leicht gefunden werden können.

Warten auf Soko-Bericht

Jene 19-köpfige Kommission unter dem Vorsitz des hohen Wiener Zivilrichters Helfried Haas, die als Soko Brunnenmarkt etwaiges Behördenversagen unter die Lupe nimmt, will bis Anfang 2017 ihren dringend erwarteten Bericht vorlegen. Schon jetzt weiß man: Die Kommunikation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, auch jene zwischen Polizei und Sozialarbeitern der Stadt Wien sowie jene zwischen psychiatrischer Abteilung und Polizei lief nicht gut. Und: Hätte N. im Rahmen seiner Vorverurteilungen Bewährungshilfe bekommen, wäre man wohl früher auf seine Erkrankung gekommen.

AUF EINEN BLICK

Nicht zurechnungsfähig. Nachdem im Mai dieses Jahres eine Frau am Brunnenmarkt in Wien Ottakring mit einer Eisenstange erschlagen worden war, wurde am Montag der 21-jährige Kenianer Francis N. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der Mann wird als akut gefährlich eingestuft. Die Tat hätte wohl bei besserer Behördenkooperation verhindert werden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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