Messiaen: Fragile Monumentalität im Konzerthaus

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Pianist Nicolas Hodges stemmt im Rahmen von Wien modern Messiaens „Vingt regards sur L'Enfant Jesus“.

Sag', wie hältst Du's mit der Religion? Von Johann Sebastian Bach über Anton Bruckner bis Arvo Pärt haben Komponisten, zunächst mit konkretem Auftrag, später immer öfter auch ohne, ihre persönliche Antwort darauf gesucht, wie ihr privates Bekenntnis in für die zuhörende Allgemeinheit bestimmte Töne übersetzt werden kann. Eines der großartigsten, verwegensten, monumentalsten dieser Bekenntniswerke, das dennoch kaum gespielt wird – weil wenige Interpreten es sich zumuten können und wenige Intendanten es dem Publikum zumuten wollen –, ist Olivier Messiaens „Vingt regards sur L'Enfant Jesus“, also in etwa „Zwanzig Blicke auf des Jesuskind“ (im Sinne von Blickwinkel), geschrieben 1944, uraufgeführt ein Jahr später noch vor Kriegsende. Der Zyklus kann also auch als klanggewaltiger Kontrapunkt zu den Schrecken der Zeit interpretiert werden. Dass es sich um ein instrumentales Werk handelt, erleichtert wiederum auch religiös unmusikalischen Menschen sicherlich den Zugang.

Musikalischer Marathon

Wenn denn ein Pianist einmal den Zugang gefunden hat, denn die Anforderungen sind in jeder Hinsicht enorm. Über eine Marathondistanz von netto etwa zwei Stunden gilt es, nicht nur quasi permanent höchste Virtuosität unter Beweis zu stellen, sondern auch Spannung aufzubauen und vor allem aufrechtzuerhalten. Nicolas Hodges, der das Unterfangen am Sonntag im Rahmen des Festivals Wien modern im Wiener Konzerthaus auf sich nahm, ist das alles ganz glänzend gelungen. Ein wohltuender Kontrast zu pianistischen Selbstdarstellern, geht er ganz im Dienst am Werk auf, nutzt seine stupenden technischen Fertigkeiten und seine reichhaltige Anschlagspalette, um dieses gleichzeitig so monumental wie auch fragil wirkende Klanggebäude nachzubauen.

Ganz zwanglos arbeitet Hodges dabei Querbezüge heraus, beleuchtet die drei bestimmenden Themen immer wieder neu („Blickwinkel!“), reizt die Kontraste bis in die Extreme aus und findet trotz aller Gegensätze doch zu einer höheren Einheit und großen Geschlossenheit. Der metrisch eingehegte, plakative Furor liegt Hodges dabei ebenso wie das Ausrollen samtweicher Akkordteppiche, das Entfesseln auseinanderstiebender impressionistisch anmutender Girlanden ebenso wie das Herausmeißeln kantiger Reliefs.

Eine Linie von Anfang bis Ende

Trotz der – für alle Beteiligten sicher hilfreichen – Pause gelingt es Hodges, eine große Linie zu ziehen vom den Hörer in einen meditativen, aufnahmebereiten Zustand versetzenden „Regard du Père“ bis zum abschließenden, wie in einer Art Resümee vieles noch einmal bündelnden „Regard de l'Église d'amour“. Ein großer Festspielmoment im Rahmen des heurigen Wien modern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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