Kuba: Tod und Trauer nach Drehbuch

TOPSHOT-CUBA-CASTRO-DECEASE
TOPSHOT-CUBA-CASTRO-DECEASE(c) APA/AFP/YAMIL LAGE
  • Drucken

Das Land steht still: Neun Tage lang müssen die Kubaner Abschied von Fidel Castro nehmen. Trotz verordneter Trauer reagieren die Menschen nüchtern auf den Tod: Sie glauben nicht an den Beginn einer neuen Epoche.

Havanna. Die Zeit ist gnadenlos. Wäre Fidel Castro vor zehn Jahren gestorben, als er schwer erkrankte und angeblich dem Tod nahe war, Kuba wäre zutiefst erschüttert gewesen. In jenem Sommer 2006 waren die Menschen verunsichert, bangten und fürchteten sich davor, was nun alles geschehen könnte, wenn Fidel plötzlich nicht mehr ist.

Doch jetzt ist alles anders. Fidel ist tot und die Menschen zucken müde mit den Schultern, sagen, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Fidel war schon lang nicht mehr der Fidel, der er einmal gewesen war. In Miami jubeln und feiern sie „Viva Cuba libre!“, glauben, das Ende des verhassten Fidel sei der Beginn einer neuen Epoche in Kuba. In Havanna sind die Menschen still und gefasst, glauben an nichts und niemanden mehr, schon gar nicht, dass Castros Tod in absehbarer Zeit irgendetwas grundlegend verändert auf der Insel. Sowohl die Gegner Castros als auch seine Anhänger, die Fidelistas, sagen: Der andere Castro, Raúl, und seine Generäle machen ohnehin, was sie wollen, wir, das Volk, haben nichts zu sagen.

Das Volk und die Castros

Viele Menschen sind von sich selbst überrascht, wie gefasst und nüchtern sie auf Castros Tod reagieren. Juana, 69, die den Vater der Revolution immer bewundert hat, sagt: „Kuba ohne Fidel konnte und wollte ich mir nie vorstellen. Jetzt ist er gestorben, und ich habe nicht einmal geweint.“ Der Mann, der ein ganzes Land und das ganze Leben von drei Generationen in Kuba von A bis Z geprägt hat, der im letzten Jahrhundert die einflussreichste Persönlichkeit Lateinamerikas war, ist Geschichte, und Juana sagt: „Es ist ein Ende von etwas, das eigentlich schon lange am Ende ist.“ Sie spüre nichts als eine große Müdigkeit.

Der renommierte Filmemacher Ernesto Daranas sagt: „Wir Kubaner haben im Laufe der Jahrzehnte einen stillen Pakt geschlossen mit den Castros.“ Volk und Regierung hätten sich Lichtjahre voneinander entfernt, misstrauten einander, und hätten sich gleichzeitig miteinander arrangiert. „Die Menschen haben keine Visionen, sehen keine Alternativen zum herrschenden System und glauben auch nicht, dass die Dissidenten oder sonst jemand etwas verändern können.“ Raúl und seine Militärs wüssten das nur zu genau.

„Sie führen jeden Oppositionellen, der auf die Straße geht, sofort ab und nichts geschieht.“ Für das Kuba von heute, so Daranas, „sind wir alle genauso verantwortlich wie die Castros“. Die fast schon gespenstische Totenstille, die sich am Wochenende in Havanna ausgebreitet hat, habe viel mit dem „inneren Rückzug zu tun, in dem wir uns befinden“.

Die Castros und die Götter

Nachdem Raúl Castro am Freitag um Mitternacht die Todesnachricht verkündet hatte, wurde dem Leben in Kuba erst einmal der Stecker gezogen. In den staatlichen Vergnügungslokalen wie der Casa de la Música im Stadtteil Miramar wurde mitten in den Konzerten der Strom abgestellt. Die Clubchefs traten auf die Bühne und befahlen Musikern und Gästen nach Hause zu gehen, weil „soeben unser geliebter Führer der Revolution verstorben ist“. Adel, ein Perkussionist mit staatlichem Grundlohn, der jeden zweiten Abend in der Casa de la Música spielt, sagt: „Es war ein bisschen, als wäre der Weltuntergang verkündet worden, still wie in einer Kirche, die Gäste zahlten und gingen.“ Seither ist Ruhe in Havanna. Nirgends spielt Musik, Alkoholverkauf und vieles anderes ist während der neun Tage Staatstrauer verboten.

Neun Tage, weil die Zahl neun in der afrokubanischen Religion Santería für die Göttin Oyà steht, sie repräsentiert den Tod, die Friedhofsruhe. Die Castros wussten schon immer: Die Kubaner kann man nicht beherrschen und kontrollieren, wenn man es sich mit ihren Göttern verscherzt, zu denen ein spirituell-magisches Labyrinth aus Mystik, Symbolen und Zahlen gehört, die ungemein wichtig sind im Leben und Alltag. Die Castros haben das immer berücksichtigt, einige sagen, geschickt für sich genutzt, damit gespielt, Dinge manipuliert. Auch oder gerade jetzt beim „physischen Verschwinden“ des Máximo Líder.

Terminplan des Todes

Ein „Organisationskomitee“ gab in Nullkommanichts einen minutiösen Terminplan des Todes heraus – jede Zahl und Zeitangabe, jedes Datum ist symbolisch bedeutend; so sehr, dass es für die Menschen keinen Zweifel gibt: Alles ist von langer Hand geplant, alles inszeniert. Fast niemand glaubt, dass Fidel „zufällig“ am emblematischen 25. November gestorben ist, sondern wahrscheinlich schon ein, zwei oder mehrere Tage davor. Aber der 25. November passt einfach zu gut. Es jährt sich jener Tag, an dem Fidel vor genau 60 Jahren mit seinen Kampfgefährten in Mexiko in See stach, um in Kuba Revolution zu machen. Neun Tage Trauer müssen sein, sie enden „zufälligerweise“ am 4. Dezember, am Tag der Heiligen Santa Barbara. Ihr Pendant in der Santería ist Changó, der Gott des Feuers und der Stärke, er steht für Männlichkeit und Rechtschaffenheit, für die ungeheure Kraft der Natur, er ist der Macho unter all den Göttern. Fidel wird am 4. Dezember beerdigt.

Ob zufällig, vom Regime inszeniert oder von einer höheren Macht gesteuert: Die Kubaner haben einen Heidenrespekt davor, wie das gerade wieder einmal läuft mit und rund um Fidel. Mit den Göttern und so viel Symbolik legt man sich besser nicht an, das kann sonst böse enden.

Marcelo, ein Hohepriester der Santería in Centro Habana, sagt zweideutig: „Die Mächtigen haben wieder einmal alles richtig gemacht, es sieht nach einem göttlichen Plan aus.“ Er maße sich nicht an, darüber zu urteilen oder das infrage zu stellen. „Es ist, wie es ist.“ Der Geweihte möchte auch nicht über die Castros urteilen. Nur so viel: Irgendeinen Grund müsse es geben, dass die sich so lang an der Macht halten. Menschen, die ihn in diesen Tagen konsultieren oder mit denen er spricht, rät Marcelo, nicht mit den Castros und dem Schicksal zu hadern und Fidel in Frieden und mit guten Gedanken ins Jenseits ziehen zu lassen. Im Glauben der Santería gehören die Toten zum Leben. Lässt man sie nicht in Frieden ruhen, lassen sie die Lebenden nie in Ruhe.

Der Staat hat dieses Volk dazu aufgerufen, heute und morgen beim Revolutionsplatz in Havanna den sterblichen Überresten Castros die letzte Ehre zu erweisen. Danach zieht die Todeskarawane mit der Asche des Máximo Líder tausend Kilometer weit durchs Land, vier Tage lang, bis zum Friedhof in Santiago de Cuba. Adiós, Fidel!

AUF EINEN BLICK

Fidel Castro, der am Freitag gestorben ist, wird am Sonntag beigesetzt. Unklar ist, welche Staats- und Regierungschefs an der Trauerfeier teilnehmen werden: Russlands Präsident Putin sagte bereits ab, er wird einen Vertreter schicken. Auch US-Präsident Obama wird nicht anreisen. Abgeordnete drängten ihn dazu, niemanden zu entsenden. Österreich wird durch die Botschafterin in Havanna vertreten sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der Grabstein Fidel Castros.
Außenpolitik

Fidel Castro in Wiege der Revolution beigesetzt

Der kubanische Revolutionsführer fand in Santiago de Cuba seine letzte Ruhe. Dort hatte 1953 die Revolution begonnen. Tausende erwiesen ihm die letzte Ehre.
People cheer at a tribute to former Cuban leader Fidel Castro in Santiago de Cuba
Außenpolitik

Keine Denkmäler für Fidel Castro in Kuba

Personenkult habe der kubanische Revolutionsführer immer abgelehnt, erklärte sein Bruder und Nachfolger Raul Castro bei der Trauerfeier in Santiago de Cuba.
Außenpolitik

Raúl Castros letzte Chance

Erst jetzt, nach Fidel Castros Tod, wird sich zeigen, was sein Bruder Raúl, seit 2006 Staatsoberhaupt, wirklich will und kann. Viel Zeit bleibt dem 85-Jährigen nicht mehr.
Außenpolitik

Langer Abschied von Castro

Bei den Trauerfeiern waren aus dem Ausland vor allem südamerikanische Staatschefs vertreten. Aus der EU kam nur Alexis Tsipras.
Trauerfeier zu Ehren Castros.
Außenpolitik

Nordkorea ehrt toten Castro mit dreitägiger Staatstrauer

Alle Flaggen an wichtigen öffentlichen Gebäuden werden auf Halbmast gesetzt. Pjöngjang schickt eine große Delegation zum Begräbnis des verstorbenen Diktators.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.