Bleistift oder Tablet: Ist digital wirklich besser?

Bleistift oder Tablet
Bleistift oder Tablet(c) Marin Goleminov
  • Drucken

Pro und Contra: Der digitale Wandel hat das Potenzial, die Schule und das Lernen radikal zu verändern. Aber: Wissen lässt sich nicht durch ein paar Klicks ersetzen.

PRO: Der digitale Wandel hat das Potenzial, die Schule und das Lernen radikal zu verändern.

Und das macht vielen Angst. So weit, so verständlich.

Die Angst kommt aber vor allem von jenen, die sich die digitale Welt selbst erst erarbeiten mussten. Von jenen, für die das Internet bis zu einem gewissen Grad immer noch dieses unheimliche Netz voller Pornografie und Kriminalität ist. Für die Digitalisierung gleichzusetzen ist mit der Verstümmelung der Kommunikation, der Isolation des Menschen vor dem Bildschirm.

Die Kinder würden das Schreiben verlernen, weil sie nur noch klicken oder tippen oder überhaupt lediglich auf allerhand Bildschirmen herumwischen. Statt eines Wissensüberblicks sind da nur noch zusammenhanglose Häppchen. Wenn überhaupt: Denn man könne ja heute eh alles googeln.

Exemplarisch könnte man dem entgegnen: Die Handschrift wird eines Tages wohl die Funktion der Kerze haben. Sie bringt Romantik ins Leben. Und falls einmal die Batterie ausgehen sollte, ist man froh, dass man noch einen Stift in der Tasche (oder im Keller) hat und weiß, wie man damit umgeht.

Tatsächlich steckt in den meisten Horrorvorstellungen ein kleines (oder größeres) Körnchen Wahrheit. Aber es wäre die falsche Strategie, die Kinder und Jugendlichen deshalb künstlich von neuen Technologien fernzuhalten. Und sie möglichst wenig zu nutzen – statt möglichst klug. Statt ihnen das Internet zu verbieten, weil sie fürs Referat sonst nur Wikipedia kopieren, müssen sie möglichst viel damit arbeiten. Um – natürlich im Kontext! – zu verstehen, was verlässlich ist und was nicht. Und was gefährlich ist.

Neue Technologien bieten auch ungeahnte Möglichkeiten für den Unterricht, ja für das gesamte Schulsystem. Da geht es längst nicht nur um das, was viele abfällig als Bespaßung bezeichnen, was den Unterricht aber enorm bereichern kann: Physikformeln per Videospiel am Tablet statt im Frontalunterricht zu erarbeiten. Ein Theaterstück mit dem Handy zu verfilmen. Bei einem virtuellen Stadtrundgang historische Orte zu besuchen.

Es geht auch und vor allem um Individualisierung. Etwa mit einer Art verkehrtem Klassenzimmer: Schüler können sich neue Stoffgebiete zu Hause per Video ansehen, so oft sie es brauchen und ihr Wissen dann in der Schule, beim Üben mit dem Lehrer vertiefen, Fragen stellen, darüber diskutieren.

Oder sie bekommen Übungen maßgeschneidert: In den USA gibt es ein Mathematikprogramm, bei dem Computer für jeden Schüler über Nacht ein individuelles Lernprogramm ausspucken – je nachdem, wie er sich vorher geschlagen hat. Was einem Lehrer für seine Klasse, wenn überhaupt, nur mit allergrößtem Zeitaufwand gelingt.

Das ist nichts für jedes Fach, und natürlich nichts für den ganzen Tag. Aber wenn es in den richtigen Momenten genutzt wird (und da gibt es sehr, sehr großes Potenzial nach oben), ermöglicht es genau das Gegenteil von dem, was die Kritiker der digitalen Schule befürchten: Es schafft Zeit für Beziehung zwischen Lehrer und Schüler.

CONTRA: Wissen lässt sich nicht durch ein paar Klicks ersetzen.

Damit Schüler Wissen erwerben können, braucht es einen Lehrer, der sie begeistern kann. Und kein Gerät.

Kinder brauchen digitale Kompetenzen, so der Schlachtruf. Manche fordern, dass diese den gleichen Stellenwert haben müssten wie etwa der Deutschunterricht. Schließlich würde die Digitalisierung das Berufsleben der Zukunft prägen. Man müsse mit dem Fortschritt gehen, und das schnell, schneller, am schnellsten. Die Kinder sollen also schon in der Volksschule damit beginnen. Doch was genau sollen sie eigentlich lernen? Das ist nach wie vor offen. Und wer nachfragt, gilt schnell als technikfeindlich.

Das absurdeste Argument in diesem Zusammenhang: Es sei völlig überholt, sich Wissen anzustrebern. Innerhalb von wenigen Sekunden (oder noch schneller!) könne man die Informationen aus dem Netz ziehen, dafür brauche man lediglich digitale Kompetenz und ein Handy. Natürlich kann man so gut wie alles googeln. Aber das macht Wissen nicht obsolet. Ganz im Gegenteil, denn das Netz steckt auch voller falscher Informationen. Ohne Basiswissen ist man kaum in der Lage, neutrale Information von Meinungsmache zu unterscheiden. Dass manche einen Zweikampf zwischen Wissen und Kompetenz anzetteln wollen, sollte Anlass zur Sorge sein.

Macht digitales Lernen klüger? Selbst Steve Jobs sagt, er würde seine Kinder iPads nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzen lassen. Das steht in schrägem Gegensatz zur Philosophie der Steve-Jobs-Schule in Amsterdam, in der großteils mittels Tablet gelernt wird. Der Lehrer hat hier nur noch die Rolle eines Coaches, der für Fragen bereitsteht. Bücher sind so gut wie verschwunden. Familienministerin Sophie Karmasin (deren Ressort die Schulbücher finanziert) ist angetan von dem Konzept. Noch weiter geht ein anderes Konzept, es ist der letzte Schrei der digitalen Bildung: Kein menschlicher Lehrer, sondern ein virtueller Coach erstellt das Lernprogramm. Das macht individualisiertes Lernen tatsächlich möglich. Doch übersieht man nicht etwas? Wir lernen über Beziehungen. Weil uns jemand für etwas begeistert hat. Weil wir uns jemandem beweisen oder vielleicht auch jemanden widerlegen wollen. Ein guter Lehrer kann die Frage beantworten, warum wir etwas lernen sollen. Er kann die Beziehung zwischen Stoff und Schüler herstellen.

Zu Hause wird es erst richtig digital

Das digitalisierte Lernen birgt in der Realität viele Gefahren. Schüler können während des Unterrichts im Internet verschwinden. Ständiges Multitasking erzeugt Stress. Die Lehrer sind kaum ausgebildet für neue Lernformen. Auch das Gesamtbild darf man nicht aus den Augen verlieren: Psychologen weisen darauf hin, dass man die Gesamtzeit bedenken sollte, die Kinder und Jugendliche vor den diversen Bildschirmen verbringen. Denn zu Hause geht es bei vielen erst richtig los mit der digitalen Kompetenz.

Abgesehen davon sind auch die Geräte nicht, wie manche gern behaupten, ohnehin da. Schulen flächendeckend mit Tablets oder Rechnern auszustatten, kann sich kein Land leisten. Weshalb der Stehsatz der Zukunft BYOD lauten wird: „Bring your own device“. Dass sich dahinter viele rechtliche und soziale Probleme verstecken, machen nur Elternvertreter zum Thema.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.