Abschiebungen nach Kroatien auf Eis gelegt: Warten auf den EuGH

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Haben Menschen, die zwischen September 2015 und Februar 2016 in die EU geflohen sind, Grenzen legal passiert?

Wien. Es ist eine heikle rechtliche Frage, die noch nicht geklärt ist: Eine Person – stellvertretend für viele – floh Ende 2015 nach Europa. Sie reiste nach Kroatien ein, betrat also die Europäische Union. Daraufhin ging es weiter nach Slowenien – ohne aufgehalten zu werden. Zum Teil wurden zu dieser Zeit auch staatlich organisierte Transporthilfen für Flüchtlinge angeboten. War der Grenzübertritt nun also illegal oder legal?

Mit dieser Frage beschäftigt sich gerade der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Nicht nur Slowenien, das ein Entscheidungsersuchen an das Gericht mit Sitz in Luxemburg gestellt hat, wartet auf das Urteil. Sondern nun auch Österreich. Aber alles der Reihe nach.

Nur wenn der Grenzübertritt tatsächlich illegal erfolgt ist, können EU-Mitgliedstaaten die Dublin-Regelung anwenden. Sie besagt, dass Flüchtlinge in jenes Land zurückgeschickt werden können, in dem sie zuerst nachweislich EU-Boden betreten haben. Griechenland ist wegen Überlastung von dieser Regelung ausgenommen. In vielen Fällen wäre also Kroatien jenes Land, das für die Asylverfahren eigentlich zuständig ist.

Das bringt uns zu Österreich. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat nun im Fall einer syrischen Familie festgestellt, dass die Einreise um den Jahreswechsel nicht illegal war. Wie das ORF-Radio und der „Standard“ berichteten, ist demnach eine Rückschiebung ins Erstaufnahmeland Kroatien nach Dublin-Verordnung nicht rechtens.

Nach Zeitraum: Illegale Einreise

Im VwGH macht man nun darauf aufmerksam, dass das Urteil des EuGH Auswirkungen auf Entscheidungen in Österreich haben könnte. Abschiebungen und Dublin-Verfahren in Bezug auf Kroatien müssten also auf Eis gelegt werden, bis die Frage nach dem Grenzübertritt geklärt ist.

Laut Innenministerium werde das Erkenntnis „bedingt etwas an der Praxis ändern“, heißt es zur „Presse“. Man wolle das Urteil des EuGH abwarten. Aber grundsätzlich betreffe es lediglich jene Menschen, die zwischen September 2015 und Februar 2016 nach Österreich gereist seien. Nur in diesem Zeitraum waren die Grenzen schließlich weitgehend offen und der Transport auch öffentlich organisiert. Betroffene, die später nach Österreich gelangt sind, könnten dennoch abgeschoben werden. Allgemein dürfte es sich aber ohnehin nicht um allzu viele Personen handeln: In diesem Jahr hat Österreich nur rund 300 Menschen nach Kroatien rückgeführt.

Nach Meinung von Verfassungsexperten könnte die Rückschiebung von Flüchtlingen nach Kroatien damit aber generell erschwert werden. Betroffene, denen eine Abschiebung nach Kroatien droht, können Beschwerde einlegen, sprich einen Antrag auf aufschiebende Wirkung, um in Österreich zu bleiben. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob ein Verbleib in Österreich möglich ist. Wichtig ist es laut VwGH, die Fristen dafür einzuhalten. Nach einem Urteil des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl habe man zwei Wochen dafür Zeit.

Ungarn: Nehmen keine Dublin-Fälle

Der Großteil der Dublin-Verfahren in Österreich betrifft allerdings weiterhin Ungarn. Das Nachbarland weigert sich, Flüchtlinge aus Österreich zurückzunehmen – obwohl es laut Dublin-Verordnung für die Betroffenen zuständig wäre. Allerdings: Österreich hatte auch Rückführungen nach Budapest infolge eines Urteils des Verwaltungsgerichtshofs im September 2015 ausgesetzt.

Die Höchstrichter hatten vor dem Hintergrund des damaligen massiven Zustroms von Flüchtlingen nach Ungarn die Rückführung einer Afghanin mit drei Kindern abgelehnt, weil ihr in Ungarn „unmenschliche Behandlung“ gedroht hätte. Allerdings hielt der VwGH fest, sein Erkenntnis dürfe „nicht so verstanden werden, dass damit abschließend über die Frage entschieden würde, ob die aktuelle Lage in Ungarn einer Rücküberstellung von asylwerbenden Parteien im Allgemeinen entgegensteht“.

AUF EINEN BLICK

Der Gerichtshof der Europäischen Union muss die Frage klären, ob der Grenzübertritt von Flüchtlingen im Vorjahr – als EU-Staaten selbst auch Transporthilfen organisierten – legal oder illegal war. Denn die Dublin-Regelung greift nur im letzteren Fall. Auch Österreich will dieses Urteil nun abwarten. Denn die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf Dublin-Verfahren im eigenen Land, die Kroatien betreffen. Im Innenministerium macht man darauf aufmerksam, dass man differenzieren muss: Nur Menschen, die zwischen September 2015 und Februar 2016 nach Österreich gekommen sind, seien betroffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2016)

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