Das Europaparlament diskutierte eine neue Initiative zum Schutz von Internet-Usern. Sie sollen vor automatischen Entscheidungen, Zugriff auf ihre Daten und Hetze bewahrt werden.
Brüssel. Die rasche Entwicklung auf dem digitalen Sektor bedroht Freiheitsrechte, untergräbt den Datenschutz und macht Internet-User zum Spielball von Maschinen. Um den weitgehend rechtsfreien Raum des Internets in Europa neu zu ordnen, hat eine Initiative von Politikern, Forschern und Journalisten in den vergangenen 14 Monaten eine Charta digitaler Grundrechte entwickelt. Sie wurde diese Woche erstmals im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments diskutiert.
In den vorgeschlagenen 23 Artikeln der Charta wird die Gleichheit, Freiheit und Sicherheit von Internet-Usern eingefordert. Demnach soll jeder Mensch „das Recht auf eine gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Sphäre“ haben. Die Verwendung von automatisierten Verfahren „darf nicht dazu führen, dass Menschen vom Zugang zu Gütern, Dienstleistungen oder von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden“.
Internet-User dürften beispielsweise nicht weiterhin automatisch selektiert werden. Die Verwendung von Algorithmen, um das User-Verhalten zu steuern, darf nicht zur Beeinträchtigung beitragen. Fraglich wäre etwa, ob eine automatisierte Preisgestaltung, wie sie einige Anbieter im Internet je User-Profil erstellen, noch zulässig wäre. Es wäre auch fraglich, ob Algorithmen weiterhin personenbezogene Informationen selektieren dürften. Ethisch-normative Entscheidungen können, heißt es in der Charta, nur von Menschen, nicht von Maschinen getroffen werden. Für die Handlungen einer Maschine muss denn auch künftig eine juristische Person geradestehen.
Um die User zu schützen, sieht die Charta einen sehr beschränkten Zugang auf personenbezogene Daten vor. Sicherheitsbehörden sollten nur bei konkreten Anlässen zugreifen dürfe, eine anlasslose Massenüberwachung wird ausgeschlossen. Auch das Profiling durch staatliche oder private Stellen soll strenger geregelt werden.
Ausdrücklich wird auf die Meinungsfreiheit verwiesen. „Jeder hat das Recht, in der digitalen Welt seine Meinung frei zu äußern. Eine Zensur findet nicht statt.“ Dennoch müssen im Netz ähnliche Regeln in der Kommunikation herrschen wie in der restlichen, weniger anonymen Öffentlichkeit. „Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern“, heißt es dazu. Daneben wird das „Recht auf Vergessenwerden“ ebenso festgeschrieben wie die Netzneutralität und der besondere Schutz von Kindern.
Die Initiative geht auf eine Diskussion zwischen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dem verstorbenen „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher und „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zurück. An der Formulierung haben sich unter anderem der grüne Datenschutzexperte Jan-Philipp Albrecht, der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum und der deutsche Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar beteiligt.
Neues Abkommen mit USA
Am Donnerstag stimmte das EU-Parlament auch einem neuen Datenschutzabkommen mit den USA zu. Darin wird die Nutzung von personenbezogenen Daten in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geregelt. Die Vorgaben gelten sowohl für US-Behörden, die gegen Europäer ermitteln, als auch für europäische Behörden, die gegen Amerikaner vorgehen.
Das Abkommen sieht unter anderem vor, dass EU-Bürger künftig in den Vereinigten Staaten gegen möglichen Missbrauch ihrer Daten klagen können. Zudem haben sie das Recht, fehlerhafte persönliche Daten korrigieren zu lassen. Zusätzlich dürfen Informationen eines EU- oder US-Bürgers künftig nicht mehr an Drittländer weitergegeben werden, ohne dass das Ursprungsland zustimmt. Auch sollen die Daten nur so lang wie nötig gespeichert werden. (wb, ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)