Ministerpräsident Mark Rutte warb unter Europas Liberalen für mehr Verständnis für Migrationsgegnern. Seine Rede wurde daheim als Kniefall vor den Rechtspopulisten, die in Umfragen voranliegen, gewertet.
Den Haag/Warschau. Der niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, warnt vor dem Auseinanderfallen der Europäischen Union (EU). „Wir stehen am Abgrund. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Probleme, die die Bevölkerung in Europa hat, lösen müssen. Gelingt uns das nicht, dann wird das Europa noch näher an den Abgrund bringen“, sagte der niederländische Ministerpräsident Rutte in seiner Rede vor Abgeordneten der liberalen Fraktion des Europaparlaments ALDE am Wochenende in Warschau.
Rutte appellierte auch an die übrigen EU-Mitgliedsländer, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen und ihre Schulden abzubauen. „Außerdem müssen wir die Sorgen der Menschen über die Migration ernst nehmen“, mahnte Rutte. „Machen wir das nicht, dann wird der politische Extremismus in Europa weiter zunehmen.“
Keine weitere Integration
In Anspielung auf das Votum der Briten, die die Europäische Union verlassen wollen, sagte Rutte: „Wir haben gesehen, was in Großbritannien geschehen ist. Und das kann anderswo in der EU wieder passieren. Wenn man Europa liebt, dann muss man aufhören zu träumen. Wer sich immer noch fixiert auf noch mehr Integration in der EU, der ist auf dem falschen Weg. Wir müssen uns fragen, ob die Menschen uns noch folgen können. Und wir sollten uns selbst fragen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.“
Die Worte des rechtsliberalen niederländischen Regierungschefs in seiner Rede vor der liberalen Fraktion des EU-Parlaments in Warschau klangen, als kämen sie aus dem Mund des niederländischen Rechtspopulisten und Islamkritikers Geert Wilders. Beobachter zogen am Wochenende denn auch den Schluss, Rutte wolle den Anhängern Wilders entgegenkommen.
In den Niederlanden ist der Wahlkampf angelaufen. Am 15. März wird ein neues Parlament gewählt. Und in der am Sonntag veröffentlichten neuesten Umfrage rangieren Geert Wilders und die von ihm gegründete Freiheitspartei PVV mit 34 Sitzen an erster Stelle – weit vor der rechtsliberalen Partei für Demokratie und Freiheit VVD des jetzt noch amtierenden Ministerpräsidenten, Mark Rutte. Die VVD käme, wenn jetzt gewählt würde, nur noch auf 24 Sitze (bisher 41) im insgesamt 150 Sitze zählenden niederländischen Parlament in Den Haag.
Die derzeit in Den Haag mit der VVD regierenden Sozialdemokraten (PvdA) werden in den aktuellen Umfragen zur Splitterpartei. Von ihren bisherigen 38 Mandaten werden sie laut den Demoskopen nur noch neun behalten, wenn nun gewählt würde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2016)