Wie die Grünen die Mitte besetzten

Die Grünen auf ureigenem ÖVP-Terrain: Alexander Van der Bellen inszenierte sich als „Präsident der Mitte“. Und diese stimmte für ihn. Ein kleiner Paradigmenwechsel.
Die Grünen auf ureigenem ÖVP-Terrain: Alexander Van der Bellen inszenierte sich als „Präsident der Mitte“. Und diese stimmte für ihn. Ein kleiner Paradigmenwechsel.(c) APA/AFP/JOE KLAMAR
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Linke, Liberale und moderate Konservative rückten zusammen. Die grüne Partei ging vor allem Letzteren entgegen. ÖVP-Wähler zu gewinnen war das eigentliche Ziel der Kampagne.

Wenn etwas den Weg der Grünen hin zur Mitte in diesem Bundespräsidentschaftswahlkampf verdeutlicht, dann die Liedauswahl beim Einzug des siegreichen Alexander Van der Bellen in den Wiener Sophiensälen am Sonntagabend: „We are the Champions“ – hat man seit Jörg Haiders Zeiten nicht mehr auf politischen Veranstaltungen gehört. Dann „I am from Austria“, gefolgt von der Bundeshymne, intoniert von einem Kinderchor. Hätte die ÖVP solches auf einer Wahlparty spielen beziehungsweise singen lassen, die Häme in den Medien wäre flächendeckend gewesen.

Die Grünen haben die Wahl auch in der Mitte gewonnen. Den „leisen Aufstand der vernünftigen Mitte“ nennt das Robert Misik. Man darf davon ausgehen, dass sich auch der linke Publizist und Syriza-Fanboy dazu zählt. Da hat sich also etwas verschoben. Und die Bekämpfer des Establishments von einst sind heute durchaus stolz dazuzugehören – auch aus Trotz den Freiheitlichen gegenüber, die sich heute als Establishment-Bekämpfer inszenieren.

Aus Angst vor dem sogenannten Rechtspopulismus sind Linke, Liberale und moderate Konservative zusammengerückt. Und die Grünen sind vor allem Letzteren ein Stück entgegengegangen, um die Hemmschwelle zu senken. Auch die grüne Haltung in der Flüchtlingsfrage wurde eher versteckt, um keine Flanke mehr zu öffnen.

In Tracht sah man Fischer nie

Letztlich waren es die ÖVP-Wähler, die den Ausschlag gegeben haben. Van der Bellen hat sich auch sehr um diese bemüht, wobei die Grenze zur Anbiederung mitunter verschwamm. Van der Bellen in der Tracht – Vorgänger Heinz Fischer sah man so nie. Er hatte es nicht nötig, denn er war auf ÖVP-Stimmen nicht wirklich angewiesen.

Die vergangenen Wochen war die Van-der-Bellen-Kampagne eigentlich nur noch auf dieses eine Ziel ausgerichtet: Wähler der ÖVP zu gewinnen. Den Anteil der De-facto-Wahlempfehlung von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner daran schätzt man bei den Grünen – im Gegensatz zu den Freiheitlichen – aber eher gering ein.

Konrad umwarb Bürgermeister

Entscheidend seien die ÖVP-Bürgermeister gewesen. Möglicherweise habe es manchen von ihnen aber erleichtert, sich zu Van der Bellen zu bekennen, nachdem der Bundesparteiobmann dies auch getan hatte.

Im Hintergrund aktiv waren vor allem Christian Konrad und Ferry Maier, die beiden ehemaligen Raiffeisen-Größen, die die Bürgermeister durchriefen und ihnen eine Unterstützung von Van der Bellen nahelegten. Raiffeisen war vor allem unter Konrads Führung immer wieder ein Angriffsziel der FPÖ gewesen. Auch in der Flüchtlingspolitik hatte Konrad in den vergangenen Jahren eine diametrale Position gegenüber jener der Freiheitlichen eingenommen. Im Finale ließ sich Alexander Van der Bellen dann auch als „Präsident der Mitte“ plakatieren.

Die Basslinie der Kampagne

In den Neunzigerjahren hatte das noch die ÖVP gemacht. Als „Kraft der Mitte“ ließ der damalige ÖVP-Obmann, Erhard Busek, sich und seine Partei bewerben.
„Die Basslinie der Kampagne“ seien von Anfang an die Menschenrechte und der Verfassungspatriotismus gewesen, sagt der abtretende Grünen-Geschäftsführer, Stefan Wallner. Damit habe man auch aufgeschlossenere Bürgerliche angesprochen. Dazu sei die „Unabhängigkeit“ des Kandidaten gekommen. Die grüne Partei und ihre Funktionäre seien zudem außerordentlich diszipliniert gewesen. „Es war beeindruckend, wie sich die gesamte Partei ein Jahr in den Dienst einer übergeordneten Sache gestellt hat.“

Nach Mitternacht spielte der DJ bei der grünen Wahlparty in den Sophiensälen dann übrigens auch noch „Last Christmas“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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