Fünf Thesen nach der Wahl

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Hat der Sieg von Alexander Van der Bellen eine rechtspopulistische Strömung in Europa gestoppt? Lohnt es sich, Stimmungen in der Bevölkerung nachzugeben?

1 Populistischer Durchmarsch? Es hängt (doch) nicht alles mit allem zusammen.

Die Angst-Lust-Perlenkette war längst fertig aufgefädelt: Brexit – Trumps Triumph – Hofers Sieg – Renzis Aus – eine Präsidentin Marine Le Pen. Als statt des ersten rechtspopulistischen Präsidenten in einem westlichen Land doch das weltweit erste direkt gewählte grüne Staatsoberhaupt für Österreich hochgerechnet wurde, saßen die internationalen Beobachter schon im Zug, Auto und Flieger in Richtung Rom. Das Ergebnis dort passte dann wieder gut ins vorbereitete Untergangsnarrativ. Die Hofburg-Wahl taugt nicht, um eine Trendumkehr herbeizuschreiben. Aber um vielleicht doch wieder genauer hinzuschauen, ob die Motive der Briten nicht vielleicht ganz andere als die der US-Amerikaner, Österreicher, Italiener und Franzosen sind. Weil eben nicht alles mit allem zusammenhängt. Auch wenn das einfacher wäre. (fa)

2 Österreich ist nach dem Wahlkampf und dem Ergebnis vom Sonntag kein gespaltenes Land.

53:47. Bei diesem Ergebnis wie bei der Wahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer muss ein Spalt durchs Land gehen. Muss? Wenn nur zwei Kandidaten zur Abstimmung stehen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich deren Zustimmung rund um die 50 Prozent bewegt. 2004 hätte das Land noch tiefer gespalten gewesen sein müssen, als sich Heinz Fischer gegen Benita Ferrero-Waldner mit nur 52:48 durchsetzte. Selbst als Bruno Kreisky 1979 mit 51 Prozent seine absolute Mehrheit ausbauen konnte, war Österreich „gespalten“. In Vorarlberg und Tirol erreichte die ÖVP bei dieser Nationalratswahl eine Absolute. Tatsächlich gespalten war Österreich, wenn man so will, 2000, als Wolfgang Schüssel Schwarz-Blau installierte. Und wegen Protesten den unterirdischen Gang in die Präsidentschaftskanzlei zur Angelobung nahm. Oder, noch krasser, 1986, als sich Kurt Waldheim unter wütender internationaler Kritik anschickte, Bundespräsident zu werden. Er erhielt übrigens 54 Prozent. (d. n.)

3 Referenden sind der falsche Weg, um politischen Druck abzuleiten.

Die abgelehnte Verfassungsreform in Italien belegt erneut, dass Referenden nicht das geeignete politische Mittel sind, um den Druck populistischer Gruppen auf eine Regierung zu reduzieren. Sie bergen insbesondere dann ein hohes Risiko, wenn sie zur Schicksalsfrage hochstilisiert werden. David Cameron scheiterte in diesem Jahr damit ebenso wie nun Matteo Renzi. Die Folgen sind noch größere Spannungen innerhalb des Landes und gegenüber den europäischen Partnern. Letztere löste auch das wegen mangelnder Beteiligung gescheiterte Migrationsreferendum in Ungarn aus. Der Schluss liegt nahe, dass direkte Demokratie nur in konstruktiver Weise sinnvoll ist. Als Mittel, um eine aufgeheizte Stimmung in rationale Bahnen zu drängen, hat dieses Instrument bisher zu oft versagt. (wb)

4 Der Vormarsch der Freiheitlichen Partei ist keineswegs gestoppt.

Ausgerechnet Österreich, der Erfinder des Rechtspopulismus modernen Zuschnitts, hat dessen Vormarsch nun gestoppt. Klingt gut, mag auch für ausländische Medien etwas Verlockendes haben. Stimmt so aber nicht. Nach 35 Prozent bei der Wahl mit sechs Kandidaten und 49,7 bei der ersten Stichwahl hat der Freiheitliche Norbert Hofer nun immerhin 46,7 Prozent erreicht. Der FPÖ-Kandidat allein gegen eine vielfältige Allianz aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Wer einmal schon – oder jetzt zum ersten Mal – für einen Freiheitlichen gestimmt hat, kann das künftig wieder tun. Wenn die FPÖ den richtigen Mix aus Angriff und Seriosität findet, könnte man sich noch wundern, was möglich ist. (oli)

5 Das Ergebnis der Hofburg-Wahl bedeutet keinen Rückenwind für die Koalition zwischen SPÖ und ÖVP auf Bundesebene.

Kommen auf SPÖ und ÖVP nach dem Wahlkampf, bei dem sie zuletzt in die Statistenrolle gedrängt wurden, ruhigere Zeiten zu? Nein. Am Grundproblem ändert sich nichts, egal, wer in der Hofburg sitzt. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist erschöpft. Christian Kerns SPÖ nähert sich der FPÖ an, was Teile von Wiens SPÖ wegen der Gefahr des Ausrinnens in Richtung Grün schreckgeweiteten Blicks verfolgen. Die ÖVP zermürbt sich in Konflikten, ob/wann sie abspringt und Schwarz-Blau wagt. Oder wohl eher Blau-Schwarz. (d. n.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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