Seid ihr jetzt die Regierung oder die Opposition?

Wir wollen „man müsste“ und „man sollte“ aus einem Politikermund nicht mehr hören.

Manchmal erfüllt das TV ja doch seinen Bildungsauftrag: Man lernt und bekommt, auch wenn das von den Beteiligten so nicht beabsichtigt wurde, einen kleinen Eindruck, warum es gerade so läuft, wie es läuft.

Sonntagabend war so ein erhellender Moment. Da saßen Parteienvertreter bei „Im Zentrum“, um die gerade abgeschlossene Bundespräsidentenwahl und den Frust, der in weiten Bevölkerungskreisen dabei sichtbar geworden war, zu diskutieren.

Und wie bekämpft man diesen Frust? SPÖ-Mann Hans Niessl bemühte intensiv die Worte „Investitionen“ und „Arbeitsplätze“, ÖVP-Mann Werner Amon beklagte die hohen Lohnnebenkosten und die hohe Steuerquote. Beider Fazit: Die Regierung müsse endlich „was zusammenbringen“ und „sich zusammenreißen“.

Alles richtig. Und trotzdem verspürt man in so einem Moment das Bedürfnis, aufzuspringen und den Herrschaften ein „Dann redet doch nicht lang herum, sondern macht das endlich!“ zuzurufen. Immerhin ist die ÖVP seit dreißig Jahren durchgehend in der Regierung. Die SPÖ hat in diesen 30 Jahren 24 Jahre lang den Bundeskanzler gestellt. Unterbrochen nur von sechs Jahren, in denen die FPÖ als Juniorpartner eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte, dass mit ihr kein Staat zu machen ist.

In diesen 30 Jahren ist all das entstanden, was die Herrschaften hier so wortgewandt beklagen: die hohe Steuerquote, das nur über extreme Lohnnebenkosten finanzierbare überzogene Sozialsystem, die hohe Verschuldung, die den Spielraum für Investitionen bremst und damit auch Teilschuld an der immer schlechter werdenden Arbeitsmarktsituation hat.

Wir wollen hier Wörter wie „Lohnnebenkosten“, „Steuerquote“, „Arbeitslosigkeit“ und so weiter in Zusammenhang mit Satzbausteinen wie „man sollte“ und „man müsste“ aus einem Politikermund nicht mehr hören. Wir wollen vielmehr hören, was konkret gegen diese selbst verschuldete Misere unternommen wird. Und zwar nicht in Zusammenhang mit Bullshit-Bingo-Begriffen wie „New Deal“ oder mit Lange-Bank-Strategien wie „Eine Kommission wird bis zum nächsten Mai Vorschläge evaluieren“.

Wir wollen wissen, welche konkreten Maßnahmen gegen konkrete Probleme mit welchem Zeithorizont gesetzt werden. Das ist keine Raketenwissenschaft, denn die Probleme sind bekannt, und die Lösungsstrategien liegen auch in den Schubladen. Man muss sie nur anpacken. Gelingt das, werden die Regierungsparteien wieder Boden unter den Füßen bekommen. Gelingt es nicht, dann werden sie zu Recht bald Geschichte sein.

Natürlich ist das kein rein österreichisches Problem. Was verharmlosend „Siegeszug des Populismus“ genannt wird, ist in Wirklichkeit überall ein Umbruch wie in den späten Sechzigerjahren, nur unter anderen politischen und gesellschaftlichen Vorzeichen. Damals ist es – erfolgreich – um das Aufbrechen gesellschaftlichen Stillstands gegangen, jetzt geht es um das Aufbrechen total verkrusteter wirtschaftspolitischer Strukturen.

Man kann natürlich warten, bis sich das – auch hierzulande – mit unabsehbaren Folgen selbst entlädt. Insgesamt gescheiter wäre aber, den aufgestauten Dampf per kluger Reformpolitik abzulassen.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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