Mikrokosmos mit „Mozartkugeln“

Der Physiker Andreas Hauser simuliert das Verhalten winziger Metallkugeln, die aus mehreren Schichten aufgebaut sind – und bisherigen Modellen trotzen.

Ein Durchbruch kann überall passieren, es kommt oft nur auf den entscheidenden Gedanken an.“ Der gebürtige Judenburger Andreas Hauser erzählt von seinem Büro bei einem Forschungsaufenthalt in Neuseeland, einer „Hütte auf einer grünen Wiese, vom Fenster aus konnte man Perlhühner füttern“. Er schätzt diese Ungebundenheit, die er als Theoretiker hat. Entscheidend seien die Menschen, und Peter Schwerdtfeger im neuseeländischen Auckland sei nun einmal die Koryphäe auf dem Gebiet der relativistischen Quantenchemie.

Hauser arbeitete dort an Membranen, um verschiedene Gase aus der Luft zu filtern. Eine Technologie mit großem praktischen Wert: Gase wie das treibhausschädliche Methan der Luft zu entziehen und nutzbar machen zu können, wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel. Hauser beschäftigte sich mit Graphen, einem extrem dünnen Material aus reinem Kohlenstoff, an dem in aller Welt intensiv geforscht wird. Die Atome sind sechseckig angeordnet, wie in Bienenwaben, aber nur eine Atomlage dick.

Die Idee war, das Graphen mit winzigen Löchern zu versehen, die Stickstoff und Sauerstoff durchlassen, Methan aber zurückhalten. Er simulierte den Vorgang mit Computermethoden. Dabei zeigte er, dass Graphen tatsächlich als Filter funktioniert, aber für ein anderes Gas: das sehr seltene Helium 3, ein begehrtes Isotop, das etwa in der Neutronendetektion Anwendung findet (Stichwort Plutoniumschmuggel) und mit dem 80-Fachen des Goldpreises gehandelt wird. Es kommt dabei auf die Größe der Poren an, die sehr präzise sein muss. Das Gas muss außerdem sehr kalt sein, weniger als 20 Grad über dem absoluten Nullpunkt.

Türsteher-Moleküle an den Poren

Hauser konnte zeigen, dass das Trennverfahren auch für komplexere Aufgaben verwendbar ist. Wird am Rand der Poren ein bestimmtes Molekül eingebaut, Hauser spricht von „Türsteher-Molekülen“, so können Stoffe anhand ihrer Chiralität getrennt werden. Im Alltag begegnet uns diese Eigenschaft bei der Milchsäure, die rechtsdrehend oder linksdrehend sein kann. Für eine Weiterentwicklung seines Ansatzes erhofft sich Hauser nun Unterstützung aus der Arzneimittelindustrie. Aktuell forscht Hauser an der TU Graz und interessiert sich für die Eigenschaften winziger Metallkugeln, die er plakativ „Mozartkugeln“ nennt. Tatsächlich sind diese nur wenige Nanometer (Milliardstel Meter) großen Kugeln wie die bekannte Süßigkeit aus mehreren Schichten aufgebaut, etwa einem Nickelkern mit einem „Schokoguss“ aus Gold. Die Strukturen seien interessant, weil sie sich an der Grenze zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos befinden. „Sie folgen weder den bekannten Gesetzen für Festkörper, noch der Physik für einzelne Teilchen. Die Physik hat dort einen blinden Fleck.“ Neue Methoden seien nötig. Interessant sind diese winzigen Metallkugeln als Katalysatoren, um chemische Reaktionen auch bei niedrigen Temperaturen ablaufen zu lassen.

Die Herstellung solcher Nanopartikel ist nur mittels eines Tricks möglich. Dazu lässt man Helium in ein Vakuum strömen, wobei sich winzige Kügelchen bilden, die extrem kalt sind, nur 0,4 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Wird dann ein Metall verdampft, etwa Kupfer, Nickel, Gold oder Silber, so lagert sich dieses an den Heliumkugeln an und sinkt nach innen. Wiederholt man den Vorgang mit unterschiedlichen Metallen, entstehen die „Mozartkugeln“. Ein Experte für dieses Verfahren ist Wolfgang Ernst vom Institut für Experimentalphysik an der TU Graz.

Der Weg zur Physik war für Hauser keineswegs selbstverständlich. „Ich habe mich auch für Latein und Philosophie interessiert.“ Hauser weigerte sich, eine Entscheidung zu treffen, studierte Philosophie nebenher und promovierte in beiden Fächern. Als Philosoph beschäftigte er sich mit epistemischer Logik, einer Logik, die neben der Wahrheit auch Meinung oder Glaube zulässt, sowie mit künstlicher Intelligenz.

Dass ein Gespräch mit einem Physiker, der auch Philosophie studiert hat, irgendwann beim Universalgelehrten Leibniz landet, sollte eigentlich nicht überraschen. Hauser erinnert an dessen Zugang zum Identitätsbegriff und zur Frage, wodurch sich Mensch und Maschine überhaupt unterscheiden. Er betont, dass manche Methoden der epistemischen Logik, wie sie von Philosophen gelehrt wird, heute fast identisch im IT-Bereich verwendet werden. „Das spielt eine große Rolle bei Suchmaschinen, wenn es um sehr komplexe Räume und um Umgebungen geht, die einem Programm viel Intelligenz abverlangen.“ Zur Erforschung seiner „Mozartkugeln“ will Hauser solche Methoden einsetzen, im Rahmen eines neuen Forschungsprojekt des Wissenschaftsfonds FWF.

ZUR PERSON

Andreas Hauser (36) studierte in Graz Physik und Philosophie. Nach Aufenthalten an der University of California in Berkeley und der Massey University in Auckland, Neuseeland, ist er seit 2014 Assistenzprofessor an der TU Graz und beschäftigt sich mit Theoretischer Molekülphysik und Quantenchemie. 2009 gewann er einen Staatspreis für die beste Dissertation, sowie den Rao-Preis am Symposium für Molekulare Spektroskopie in Columbus, Ohio.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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