Wie die Bücher endlich lesbar wurden

Wie die Bücher lesbar wurden
Wie die Bücher lesbar wurdenAusstellungsband Verlag Philipp von Zabern
  • Drucken

Das Jubiläum des Reformationsjahres 1517 schlägt bereits hohe Wellen auf dem Buchmarkt. Wir wollen hier daran erinnern, dass vor 500 Jahren nicht nur eine Glaubenswelt ins Wanken geriet, sondern auch eine Revolution auf dem Buchmarkt erfolgte.

Der Text, den Sie hier gerade lesen, gliedert sich in neun Absätze, Titel, Vorspann und Bebilderung haben Ihre Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Ohne alle diese Elemente hätten Sie vermutlich nicht zu lesen begonnen. Eine Druckseite wird zuerst angeschaut, visuell abgetastet, bevor der Leseprozess beginnt. Nicht erkennen kann ich als Autor, ob Sie den Text als Folge von Gewöhnung oder Vorliebe in der traditionellen Form auf gedrucktem Papier lesen oder als elektronische Datei. Für unser Thema ist das ohnehin egal. Die herkömmlichen kulturellen Bedürfnisse und Lesegewohnheiten haben nämlich dazu geführt, dass die Gestaltung digitaler Textseiten im Prinzip derjenigen von gedruckten Seiten ähnelt, abgesehen davon, dass Sie nicht umblättern, sondern in einem merkwürdig archaischen Vorgang scrollen wie die antiken Gelehrten, wenn sie eine Schriftrolle studiert haben.

Die Errungenschaften der Seitengestaltung als eigene Kultur, von der wir uns noch nicht verabschiedet haben, waren Ergebnis eines spannenden Modernisierungsprozesses; das ging nicht auf einen Schlag, sondern dauerte zwei Generationen. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks in den 1450er-Jahren war der erste Schritt einer Revolution, bildete aber nur den Anfang einer Entwicklung, die nach einigen Jahrzehnten des Probierens und Suchens vor 500 Jahren zu einem Ergebnis fand.

Das Buch in seiner Struktur, wie wir es heute kennen, ist also nicht ein Produkt des 15., sondern des 16. Jahrhunderts. Die Gestaltung der Druckseite war lange Zeit unsicher. Es ging um nicht weniger als darum, Texte in lesbare Form zu bringen und so den Bedürfnissen der Leser entgegenzukommen. Immer wieder haben die frühen Drucker, die, um zu überleben, einen größtmöglichen Absatz ihrer Bücher brauchten, experimentiert und die Probe auf gute Lesbarkeit gemacht.

Gutenberg-Bibel
Gutenberg-BibelAusstellungsband Verlag Philipp von Zabern
Luther-Bibel
Luther-BibelAusstellungsband Verlag Philipp von Zabern

Die hier abgebildeten Bibelseiten mit dem Beginn des Weihnachtsevangeliums nach Lukas zeigen diese langwierige Entwicklung: Die lateinische Bibel von Johannes Gutenberg stammt aus dem Jahr 1455, sie fand viel Anklang, denn der Wortlaut war korrekt und der Satz mit seiner hohen Zeichendichte so, wie man es von mittelalterlichen Handschriften gewohnt war. Ziel war offenbar, die Zeilen effektiv zu füllen, möglichst viele Buchstaben unterzubringen. Der Satzspiegel ist ein sehr unaufgeregtes Rechteck auf Papier. Die Rubrizierung, die mit Hand eingefügten Striche mit farbiger Tinte, dienten nicht nur der Verschönerung, sondern sollten auch eine leichtere Orientierung ermöglichen. Man erkannte also das Problem durchaus: Die Seite ist zu eng bedruckt, das erschwert den Lesefluss. So wurden später aus den rubrizierten Stellen Absätze.

Leserfreundliche Bibel.
Dann kamen Jahrzehnte, in denen sich in den europäischen Gesellschaften das Lesen immer mehr ausbreitete. Die erste gedruckte deutsche Bibelübersetzung von Martin Luther in der Ausgabe von 1522 ist bereits eine erste Perfektionsstufe in der Entwicklung des Layouts und ermöglicht dem Auge eine leichtere Navigation. Der Druck von Melchior Lotter aus Wittenberg zeigt eine vielfältig gegliederte Seite mit Absätzen, Marginalien und Überschriften. Man merkt, dass das Druckergewerbe Jahre harter Arbeit an der Formatierung einer Druckseite hinter sich hat. Schrittweise wurde das Verstehen durch den Leser so erleichtert. So wirkt diese Druckseite heute trotz ihres hohen Alters vertraut: Sie zeigt bereits das Erscheinungsbild, das Druckseiten auch heute haben.

Ausstellungsband Verlag Philipp von Zabern

Etliche Merkmale zeigen, dass sich die frühen Drucker noch nicht von der Handschriftenkultur emanzipierten. Sie haben den Schreibern in den Klöstern, Regierungsstellen und Stadtbüros zwar Arbeit abgenommen, aber anfangs noch nicht das gesamte Buchprodukt hergestellt, vielmehr erfuhren die Drucke noch eine Nachbearbeitung von Hand. So gibt es etwa die Praxis handschriftlicher Zutaten auf Druckseiten, als Navigationshilfen luden sie die Leser ein, selbst Notizen am Rand der Seite zu machen.

Pausen beim Lesen.
Die Initialen, die den Beginn eines Kapitels oder Abschnitts markieren, waren den auf Handschriften spezialisierten Künstlern vorbehalten, denen oft viel Platz eingeräumt wurde. So kam es besonders in kirchlichen und repräsentativen Werken zu sehr aufwendig gestalteten Malereien. Wie ein Redner pausiert, so befriedigen die Initialen das Bedürfnis des Lesers nach einem kurzen ausruhenden Betrachten. Wenn Drucker die Arbeit der Initialenmaler übernahmen, fügten sie oft Holzschnitte mit vergrößerten Anfangsbuchstaben und reichlich Ornament ein. Als die Initialen langsam verschwanden, blieb an dieser Stelle eine Einrückung im Text. Größere Lettern wurden eingesetzt, um bestimmte Textpassagen stärker hervorzuheben. Das war bei den Handschriften viel leichter, nun war der technische Aufwand größer, weil der Zeilenumbruch gestört wurde. Aus Sparsamkeit wurde manchmal darauf verzichtet.

Auch die Gestaltung der Titelseiten ist eine Entwicklung des frühen 16. Jahrhunderts. Sie sind eine Adresse der Buchhersteller an die Buchkonsumenten und enthalten die relevanten Angaben wie Verfasser, Werktitel, Druckort und -jahr, manchmal auch die Druckerwerkstatt. Das gab es am Anfang des Buchdrucks noch nicht, dann wanderten diese Angaben an den Schluss des Textes und schließlich auf die Titelseite. Register oder Inhaltsverzeichnisse waren mal am Anfang, mal am Ende. Erst mit dem Druck aufgetaucht sind die Druckfehlerverzeichnisse am Ende. Das erinnert an die Schreiber der Handschriften im Mittelalter, die oft zum Abschluss ihres Werks Textpassagen über die schlechten Arbeitsbedingungen einfügten, aber natürlich keine Schreibfehler zugaben. Die oft recht umfangreiche Liste der Errata bei den frühen Druckprodukten beweist: Wegen der hohen Papierkosten war ein nachträglicher Korrektureingriff unmöglich. Man kann die Aufforderung an den damaligen Leser, selbst korrigierend einzugreifen, als frühe Form des „interaktiven“ Rezipierens deuten.

An Überschriften als Unterbrechung des Zeilenflusses musste man sich im 16. Jahrhundert erst gewöhnen, doch bei dickeren Werken lernte man sie zu schätzen, wurde es doch nun ermöglicht, springend zu lesen und auch etwas zu überschlagen. Allmählich erst setzten sich auch die Seitenzahlen durch, bei Luthers Bibel von 1522 fehlen sie noch. So kam der frühe Prozess der Buchdruckgestaltung, durch die das Lesen bis heute geprägt wird, also bereits Anfang des 16. Jahrhunderts zu einem Abschluss. Die Frühdrucke der Reformationszeit zeigen bereits das Erscheinungsbild, das heute noch bei Büchern gültig ist, mit dem zentralen Element der Druckseite. Vor fünfhundert Jahren wurde also nicht nur ein Glaubenssystem in seinen Grundfesten erschüttert, sondern auch eine Buchrevolution vollzogen.

AUSSTELLUNG

Buchrevolution um 1500

Die Leipziger Universitätsbibliothek Albertina und die Stadtbibliothek Lyon haben sich im Jubiläumsjahr der Reformation zusammengetan, um aus ihren Schätzen Meisterwerke des frühen Buchdrucks zu zeigen. So ist eine Doppelausstellung entstanden.

Zur Leipziger Ausstellung (noch bis 29.1.2017) ist auch im Verlag Philipp von Zabern ein schöner Begleitband im Stil der frühen Drucke entstanden: „Textkünste – Die Erfindung der Druckseite um 1500“. Er ist auch außerhalb der Ausstellung zum Preis von 19,95 Euro erhältlich. Die inhaltsgleiche französische Ausgabe heißt „Les arts du texte“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.