Viennale Retrospektive: Vulgäres Vergnügen und zauberhaufe Ironie

(c) Österreichisches Filmmuseum
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Die Viennale-Retrospektive „The Unquiet American" widmet sich der Grenzüberschreitung im Kino der USA. Kuratiert hat sie Jonathan Rosenbaum, einer der bedeutendsten US-Filmkritiker.

Obszönität, Vulgarität und Unsittlichkeit: Im Hays Code, jenem moralischen Regelwerk, dem alle US-Filmemacher ab 1934 Folge zu leisten hatten, bildeten diese drei durchaus auslegbaren Begriffe die Achse des Bösen. Aber im Schatten des Verbots wachsen die schönsten Blumen: Wie in der Komödie Bluebeard's Eighth Wife, in der Ernst Lubitsch 1938 mit schlüssigen Pointen und verschlüsselten Untergriffen vom Werben eines siebenfach Geschiedenen um seine nächste Ehegattin erzählte.

Das resultierende Lustspiel ist eines der bekanntesten Werke in der Auswahl des amerikanischen Filmkritikers Jonathan Rosenbaum für die Viennale-Retrospektive „The Unquiet American“: In Lubitschs Sittenkomödie spiegelt sich jene Zerrissenheit zwischen künstlerischer Widerspenstigkeit und kommerzieller Zähmung wider, die vielen US-Comedys zu eigen ist. „Transgressive“, grenzüberschreitend, sollen die Filme von Rosenbaums Programm sein: Die anarchische Körperkomik von Stan Laurel und Oliver Hardy – mit den zwei Irrwitzigkeiten The Music Box (1932) und Two Tars (1928) im Programm – zerlegt nicht nur die Studiobauten, sondern auch den funktionalen Alltag langweiliger und spaßfeindlicher Durchschnittsmenschen. Buster Keaton, bei der Retrospektive zu sehen in Sherlock Jr. (1924) und Seven Chances (1925), hingegen stellt gerade als stoische Bastion der Räson und „Mann, der niemals lacht“ seine eigene Menschlichkeit heraus und die der anderen (wie bei Laurel & Hardy zumeist die der „Oberen“) in Frage.

Schwere Kunstkost? Lachhaft!

Es geht Rosenbaums famos konzipierter und programmierter Schau aber nicht nur darum, eine archäologische Querlese der klassischen Komödie zu betreiben: „The Unquiet American“ will auch das, was man die Konventionen des Genres nennen muss, auflösen und selbst zum Transgressionsmotor werden – die Komödie findet im Kino immer und überall eine Heimstatt.

Animations-Ass Chuck Jones etwa lässt in seinem Klassiker Duck Amuck (1944) Daffy Duck durch mutierende Zeichenwelten hatschen, bis sich in der letzten Einstellung Bugs Bunny selbst als sadistischer Pinselschwinger zu erkennen gibt. Kinderunterhaltungsware als Reflexion über das Medium als Avantgardefilm: Den umgekehrten Transgressionsweg schlägt Owen Land ein. Im formidablen Experimentalwitz On the Marriage Broker Joke (1977/79) drehen zwei Pandabären einen Avantgardefilm über japanische Salzpflaumen – und diskutieren währenddessen die Bezugsebenen des Werks. Schwere Kunstkost? Lachhaft!

Selbstironie ist auch das Zaubermittel für zwei selten gezeigte Klassiker des feministischen Kinos: In Joan Does Dynasty (1986) verhandelt und interpretiert Joan Braderman ihre Hassliebesbeziehung zum TV-Hit „Dynasty“, während Vanalyne Green für A Spy in the House That Ruth Built (1989) in die männliche Erlebniskultur eines Baseballspiels einsteigt und zu erstaunlichen Erkenntnissen kommt: Der „Homerun“ entspricht dem Wunsch, wieder in den Geburtskanal zu kriechen.

Wie dehnbar und flexibel selbst massentaugliche Komödien sind (oder jedenfalls einmal waren) zeigt Jim McBrides Hot Times (1974): Dieser Prototyp der lukrativen Highschool-Sexklamotte schiebt das Private radikal in das Öffentliche, löst Kategorisierungen von Hoch- bis Popkultur so ungestüm, selbstreflexiv und schmähgewaltig auf wie sonst nur noch Trash-Papst John Waters (der deshalb auch gleich mit zwei Filmen in der Schau vertreten ist).

Die Zukunft der Idiotengesellschaft

Der jüngste Film der Retrospektive datiert aus dem Jahr 2006: In Idiocracy von „Beavis & Butt-Head“-Schöpfer Mike Judge werden ein Durchschnittssoldat und eine Prostituierte für ein militärisches Experiment eingefroren. Als sie im Jahr 2505 wieder auftauen, finden sie sich in einer von Unternehmen und Werbebotschaften kontrollierten Idiotengesellschaft wieder. Bei Starbucks bestellt man zum Kaffee eine Dame als Onanierassistenz, der Verkaufsautomat einer Fast-Food-Kette entzieht einer Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder, und das Hollywood-Studio Twentieth Century Fox entschließt sich, Idiocracy nicht zu bewerben. Letzteres ist tatsächlich passiert und mit ein Grund dafür, wieso Mike Judges Meisterwerk kaum wahrgenommen wurde – und erst jetzt in einem österreichischen Kino läuft. Bei den „Unquiet Americans“ ist es jedenfalls in bester Gesellschaft.

AUF EINEN BLICK

„The Unquiet American. Transgressive Comedies from the U.S.“ heißt die Viennale-Retrospektive, die heute im Österreichischen Filmmuseum beginnt und bis 5.November läuft. Kuratiert hat sie Jonathan Rosenbaum, einer der bedeutendsten US-Filmkritiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2009)

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