„Es war Mord“: Wende im Fall Alijew?

In einer (baugleichen) Toilette der Justizanstalt Wien-Josefstadt wurde Alijew tot gefunden
In einer (baugleichen) Toilette der Justizanstalt Wien-Josefstadt wurde Alijew tot gefunden (c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Der frühere Botschafter Kasachstans, Rachat Alijew, wurde laut einem neuen Gutachten in seiner Wiener Gefängniszelle "durch fremde Hand getötet". Alijew stand unter Mordverdacht.

Wien/Münster. Genau das hatten die österreichischen Behörden – buchstäblich – um jeden Preis verhindern wollen: „Wir machen alles, was möglich ist, die Kosten spielen dabei keine Rolle“, hatte die Staatsanwaltschaft Wien erklärt, nachdem der kasachische Ex-Botschafter Rachat Alijew in einer Wiener Gefängniszelle tot aufgefunden worden war. Zwei gerichtsmedizinische Institute bestätigten dann auch: Alijew habe offenkundig Suizid begangen. Nun soll alles anders sein: Laut dem deutschen Gutachter Bernd Brinkmann war es „Tötung durch fremde Hand.“

Mit dieser Wende gingen Brinkmann, prominenter Facharzt für Rechtsmedizin, tätig in Münster (Nordrhein-Westfalen), und die seinerzeitigen Wiener Alijew-Anwälte Manfred und Klaus Ainedter sowie Otto Dietrich am Montag an die Öffentlichkeit. Brinkmann war auf Betreiben der Witwe Alijews aktiv geworden.

In dem 18-seitigen Gutachten wird als Todesursache eine Perthes'sche Druckstauung (Kompression des Brustkorbes, die zum Ersticken führt) angegeben. Zusätzlich zur Kompression dürften laut Gutachten „die äußeren Atemöffnungen verschlossen worden sein“. Man könnte sich also vorstellen, dass sich jemand auf Alijew gekniet hat und dabei gleichzeitig Mund und Nase des Opfers zugehalten hat. Für Anwalt Manfred Ainedter ist dieser Befund klar: „Es war Mord.“

Der Tod in der Einzelzelle

Zur Erinnerung: Alijew war als Mordverdächtiger in der Justizanstalt Wien Josefstadt (dem mit etwa 1200 Insassen größten Gefängnis Österreichs) in einem Einzelhaftraum in U-Haft angehalten worden. Am 24. Februar 2015, kurz vor Prozessbeginn, war der 52-Jährige tot im Nassbereich der Zelle aufgefunden worden. Sein Hals war mit einer Mullbinde umschlungen, die Binde war an einem Kleiderhaken befestigt gewesen. Sofort gingen die Behörden von Suizid durch Erhängen aus. „Es kann kein Erhängen sein, da bin ich mir absolut sicher“, erklärt nun Brinkmann.

Jedenfalls hatte weder die Wiener Gerichtsmedizin unter Leitung von Daniele Risser noch die Rechtsmedizin St. Gallen unter Roland Hausmann Hinweise auf Fremdverschulden gefunden. Zu diesem Widerspruch befragt, meinte Brinkmann, die Kollegen hätten „total falsche Rückschlüsse“ aus den Befunden gezogen. Der deutsche Experte weiter: „Man hätte sagen müssen: Stopp, da ist was ganz Dickes passiert. Das sieht ein Blinder. Das ist Lehrbuchwissen.“

Brinkmann hat sein Gutachten anhand der ihm übermittelten Befunde und anhand der Leichenfotos gemacht. Die in seinem Gutachten beschriebene Kombination aus Brustkorbkompression und dem Verschließen der Atemwege ist in der Literatur als „Burking“ bekannt, benannt nach dem schottischen Massenmörder William Burke aus dem 19. Jahrhundert, der gemeinsam mit William Hare mindestens 16 Menschen auf diese Art tötete, um die (dann relativ unversehrten) Leichen einem anatomischen Institut verkaufen zu können.

Für die eigentliche Causa Alijew hat das Gutachten keine Bedeutung. Für den Ex-Diplomaten endete das gegen ihn geführte Mordverfahren mit dem Tod. Seine beiden Mitangeklagten waren sehr wohl vor Gericht gestellt worden, beide wurden aber rechtskräftig vom Vorwurf der Ermordung zweier kasachischer Bankmanager freigesprochen. Einer der beiden bekam aber einen Schuldspruch wegen Freiheitsentziehung, die moderate Strafe: zwei Jahre teilbedingte Haft.

Auszug aus der Zusammenfassung des Brinkmann-Gutachtens.
Auszug aus der Zusammenfassung des Brinkmann-Gutachtens.Faksimile

Warten auf Schweizer Antwort

Aber das Verfahren gegen unbekannte Täter, nämlich jenes Verfahren, das nach dem Tod Alijews begonnen wurde, wird nun wohl fortgesetzt werden müssen. Anders gesagt: Die Justiz muss sich fragen, wer der mögliche Mörder von Alijew sein könnte. Manfred Ainedter: „In Österreich ist es anscheinend möglich, dass jemand in seiner Zelle umgebracht wird.“
Die Justiz hat das Brinkmann-Gutachten bereits nach St. Gallen geschickt und die dortige Rechtsmedizin ersucht, eine ergänzende Stellungnahme abzugeben.

Erst Botschafter, dann Mordanklage

Chronologie. 2002 kam der Kasache Rachat Alijew als Botschafter nach Wien. 13 Jahre später starb er dort in einer Einzelzelle. Was dazwischen geschah, liest sich wie ein Krimi.

  • 2002: Rachat Alijew, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putschgerüchten als kasachischer Botschafter nach Wien geschickt.

  • 2005: Alijew kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.

  • 31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rachat Alijew.

  • 9. Februar 2007: Alijew kehrt kurz als Botschafter nach Wien zurück.

  • 23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Alijew wegen der Entführung der beiden Bankmanager starten.

  • 26. Mai 2007: Alijew wird als Botschafter abgesetzt. Nasarbajews Tochter Dariga reicht die Scheidung ein.

  • 28. Mai 2007: Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Alijew.

  • 30. Mai 2007: Auslieferungsantrag an Österreich wird gestellt.

  • 1. Juni 2007: Alijew wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in U-Haft genommen.

  • 8. August 2007: Österreich lehnt das Auslieferungsbegehren ab.

  • 17. Jänner 2008: Kasachstan verurteilt Alijew in Abwesenheit wegen Entführung der Manager und stellt einen weiteren Auslieferungsantrag. Im März wird auch der Alijew-Vertraute, der Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussajew, in Abwesenheit zu 20 Jahren Straflager verurteilt.

  • Juli bis September 2008: drei gescheiterte Entführungsversuche gegen Mussajew und den Alijew-Leibwächter Vadim Koshlyak in Wien.

  • 10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst habe Abgeordnete beeinflusst, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bestätigt.

  • Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland.

  • 18. Mai 2011: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Alijews in Kasachstan werden die Leichen der Bankmanager gefunden.

  • 16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans ab.

  • Juli 2011: Die österreichischen Behörden beginnen Ermittlungen gegen Alijew wegen Mord- und Geldwäschevorwürfen. Alijew hält sich in Malta auf und nimmt den Namen seiner Frau, Shoraz, an.

  • März 2013: Alijew bzw. Shoraz erhebt in seinem Buch „Tatort Österreich“ Vorwürfe gegen Politiker. Als Helfershelfer Kasachstans werden Ex-Innenminister Karl Blecha, Ex-Parlamentarier Anton Gaal (beide SPÖ), Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner genannt.

  • 1. November 2013: Alijew – ursprünglich vertreten von Anwalt Wolfgang Brandstetter, dem späteren Justizminister, wird der österreichische Fremdenpass entzogen.

  • 19. Mai 2014: Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Haftbefehl.

  • 6. Juni 2014: Alijew wird festgenommen und kommt in U-Haft.

  • 30. Dezember 2014: Mordanklage wird eingebracht.

  • 24. Februar 2015: Alijew wird tot in seiner Zelle aufgefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13. Dezember 2016)

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