Die neue Ära der weltweiten Aufrüstung

Chinesisch-russisches Manöver im Südchinesischen Meer, wo die Anrainerstaaten aufrüsten. Auch die Nato gibt wieder mehr für Verteidigung aus.
Chinesisch-russisches Manöver im Südchinesischen Meer, wo die Anrainerstaaten aufrüsten. Auch die Nato gibt wieder mehr für Verteidigung aus. (c) Eyevine/picturedesk.com
  • Drucken

China und Indien schrauben ihre Verteidigungsausgaben in die Höhe. Auch Westeuropa rüstet nach Jahren des Sparkurses wieder auf. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Mit einer großen Ausnahme: Das kriselnde Russland muss sparen.

Wien. Es ist eine Zeitenwende. Nach dem Sparkurs im Sog der Finanzkrise steigen die weltweiten Verteidigungsausgaben heuer wieder und zwar auf 1.570.000.000.000 Dollar, also 1,57 Billionen Dollar (1,48 Billionen Euro). Das gab der Branchendienst Jane's gestern bekannt. Demnach markiere das Jahr 2016 den Beginn einer Dekade der Aufrüstung. 2020 schon sollen die Verteidigungsausgaben 1,63 Billionen Dollar ausmachen und dann weiter steigen. Die Gründe dafür reichen von den Spannungen im Südchinesischen Meer über Terror und Migrationskrise bis zum Ost-West-Konflikt, den der Krieg in der Ostukraine neu entfacht hat.

Auch Westeuropa rüstet nach sechs Jahren des Schrumpfens seines Verteidigungsetats wieder auf. Jane's erwartet, dass die Ausgaben in der Region bis 2020 um zehn Milliarden Dollar anschwellen werden. Das ist bemerkenswert: „Denn die Unsicherheiten rund um den Brexit sowie die politische Instabilität in Südeuropa hemmen das Wirtschaftswachstum und die Erholung in Europa. Und trotzdem wird beschlossen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen: ein starkes Indiz, dass das Thema seit 2015 an Priorität gewonnen hat“, sagt Jane's-Analystin Fenell McGerty zur „Presse“. Allerdings wird das Vorkrisenniveau erst 2018 erreicht.

„Viele Konflikte vor unserer Haustür“

Die neue Aufrüstung hängt auch mit den Verwerfungen in Europas Nachbarschaft zusammen, „mit den vielen Konflikten vor unserer Haustür“, wie es Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, im Herbst formulierte. Im Süden Europas liegt das destabilisierte, teils von IS-Jihadisten infiltrierte Libyen, im Osten gibt es ein Säbelrasseln mit Russland. Die Verteidigungsausgaben in der Bundesrepublik sollen nun bis 2020 von derzeit 35,8 Milliarden Dollar auf dann 39,4 Milliarden Dollar steigen – wohl auch, weil es sich Deutschland mit seinen Budgetüberschüssen leisten kann. Frankreich wiederum erhöhte seine Verteidigungsetats mehrfach als Antwort auf den Terror, der zuerst Paris und dann Nizza heimsuchte.

Auch Österreich hebt sein Verteidigungsbudget an – von 1,94 Milliarden Dollar im Vorjahr auf prognostizierte 2,35 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Das deckt sich auch mit einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis. Zumindest legen das Umfragen im Auftrag des Verteidigungsministeriums nahe. Demnach halten es 80 Prozent der Befragten für eine gute oder sehr gute Idee, dass sich das Bundesheer in der Terrorismusbekämpfung einbringt; noch mehr, 84 Prozent, sehen den Grenzschutz als wichtige Aufgabe des Heeres.

Doch keine Region weltweit wird schneller aufgerüstet als das Baltikum. Dort, im Nordosten Europas, hat Russlands Einverleibung der Krim alte Wunden aufgerissen, zumal Litauen, Lettland und Estland die einzigen Ex-Sowjetrepubliken sind, die nicht zumindest teilweise in Russlands Orbit kreisen. Das Ausgangsniveau für die neue Aufrüstung ist freilich bescheiden: Litauen hatte keinen einzigen Panzer und ein paar Tausend Soldaten. Nun dürften sich die Verteidigungsausgaben in der Region von 981 Millionen Dollar im Jahr 2014 auf 2,1 Milliarden Dollar im Jahr 2020 mehr als verdoppeln.

Ein weiterer Grund für die Aufrüstung in Europa heißt Donald Trump. Der künftige US-Präsident hatte im Wahlkampf alle Alarmglocken in Osteuropa schrillen lassen, als er laut darüber nachdachte, die Nato-Beistandspflicht, also das Herzstück des Verteidigungsbündnisses, an Bedingungen zu koppeln. Zwar monierten auch die USA unter Obama immer wieder, der europäische Nato-Teil würde weniger als die vereinbarten zwei Prozent des BIPs für Verteidigung ausgeben. Am berüchtigten Artikel 5 rüttelte Obama nicht. Im Gegenteil: Nächstes Jahr sollten die Ausgaben für Europa (Atlantic Resolve) vervierfacht werden, auf 3,4 Milliarden US-Dollar. Eine Maßnahme, die auf Russland zielt. Auch Wladimir Putin hatte die russischen Streitkräfte jahrelang aufgerüstet und modernisiert. Es war ein Herzstück seiner Präsidentschaft. Dann sank der Ölpreis und mit ihm heuer auch der Verteidigungsetat, zum ersten Mal seit Ende der Neunziger. Dieser Trend dürfte sich laut Jane's weiter fortsetzen.

Indien hat Russland bei den Verteidigungsausgaben bereits überholt. Die größte Demokratie der Welt werde in den nächsten Jahren ihre Ausrüstung modernisieren und auch deshalb bis 2018 Großbritannien aus den Top drei mit den höchsten Verteidigungsausgaben verdrängen, erwartet Jane's. Indien liege dann hinter den USA und China, das sich ein Wettrüsten mit den weiteren Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers liefert. In der Region wächst die Wirtschaft und mit ihr die Spannungen. Militärisch gibt es laut Jane's einen neuen Trend: Bisher ging es bei den Ausgaben um territoriale Landesverteidigung, nun steht Machtprojektion im Vordergrund. Das zeigt sich auch darin, dass verstärkt in die Marine investiert wird, etwa um auf hoher See, wo sich die Gebietsansprüche überlappen, die Muskeln spielen zu lassen. Damit steige auch die Gefahr eines „Kontakts“, was wiederum die Verteidigungsausgaben weiter erhöhen könnte. Diesen neuen Rüstungswettlauf dominiert China: Bis 2025, so schätzt Jane's, wird es mehr ausgeben als alle anderen Anrainerstaaten zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.