Justizministerium verteidigt Suizid-These im Fall Alijew

Archivbild: Ein zellentrakt in der Justizanstalt Josefstadt, wo Rachat Alijew gestorben ist.
Archivbild: Ein zellentrakt in der Justizanstalt Josefstadt, wo Rachat Alijew gestorben ist. APA / HELMUT FOHRINGER
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Sektionschef Pilnacek verweist auf Gutachten, die für einen Suizid des ehemaligen kasachischen Botschafters in seiner Wiener Zelle sprechen. Eine neue Expertise hatte diese These zuletzt angezweifelt.

Das Justizministerium geht im Todesfall Rachat Alijew weiterhin von Suizid aus. "Von einer Wende kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Staatsanwaltschaft Wien eine Reihe von gegenteiligen Beweisergebnissen erbracht hat, die sich alleine jetzt noch nicht als entkräftet darstellen lassen", sagte Sektionschef Christian Pilnacek am Dienstag im Ö1-Morgenjournal.

Der Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium verwies auf Gutachten über die Videoanlage und den Schließmechanismus der Zellentür, bei denen es jeweils keine Manipulationen gegeben habe. Außerdem seien alle Personen befragt worden, die mit Essens- und Medikamentenausgabe beschäftigt gewesen seien, und der Gerichtsmediziner Reinhard Haller habe eine Stellungnahme über die "Suizidgeneigtheit" von Alijew abgegeben.

Gutachter: "Von fremder Hand" gestorben

Laut dem von Alijews Anwälten beauftragten Gutachter Bernd Brinkmann ist der kasachische Ex-Botschafter im Februar 2015 in seiner Gefängniszelle "von fremder Hand" gestorben, wie am Montag bei einer Pressekonferenz erläuterte ("Die Presse" berichtete). Der deutsche Rechtsmedizinier bezeichnete Selbstmord- oder auch Unfallthesen als "Phantasiegebilde". Charakteristische Blutergüsse im oberen Brustkorb machten Alijews Tod vielmehr zu einem "Lehrbuchfall" für das sogenannte "Burking" (Ersticken durch Niederdrücken des Brustkorbs bei gleichzeitigem Zuhalten von Mund und Nase). "Das sieht ein Blinder", sagte Brinkmann. Alijew sei tot oder sterbend in jenen erhängten Zustand gebracht worden, in dem er in der Gefängniszelle aufgefunden wurde.

Pilnacek wollte nicht zu den medizinischen Feststellungen Brinkmanns Stellung nehmen. Als "nicht nachvollziehbar" bezeichnete der Spitzenbeamte jedoch den Vorhalt, die Obduktion sei "allein in Richtung Selbsttötung aufgebaut" worden. Schließlich sei die Rechtsmedizin im Schweizer Sankt Gallen "bewusst ausgewählt" worden, "um Vermutungen der Nicht-Objektivität auszuschließen".

Wird Fall neu aufgerollt?

Der Sektionschef schloss aber nicht aus, dass der Fall neu aufgerollt werden könnte. Zunächst sei abzuwarten, was die Experten in Sankt Gallen zu den Ausführungen Brinkmanns sagen. Die Schweizer Rechtsmediziner hätten zugesagt, noch vor Weihnachten eine Stellungnahme zu liefern. "Wir denken, dass dann zumindest einmal die medizinischen Fragen hinreichend geklärt werden können", sagte Pilnacek.

Erst Botschafter, dann Mordanklage

Chronologie. 2002 kam der Kasache Rachat Alijew als Botschafter nach Wien. 13 Jahre später starb er dort in einer Einzelzelle. Was dazwischen geschah, liest sich wie ein Krimi.

  • 2002: Rachat Alijew, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putschgerüchten als kasachischer Botschafter nach Wien geschickt.

  • 2005: Alijew kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.

  • 31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rachat Alijew.

  • 9. Februar 2007: Alijew kehrt kurz als Botschafter nach Wien zurück.

  • 23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Alijew wegen der Entführung der beiden Bankmanager starten.

  • 26. Mai 2007: Alijew wird als Botschafter abgesetzt. Nasarbajews Tochter Dariga reicht die Scheidung ein.

  • 28. Mai 2007: Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Alijew.

  • 30. Mai 2007: Auslieferungsantrag an Österreich wird gestellt.

  • 1. Juni 2007: Alijew wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in U-Haft genommen.

  • 8. August 2007: Österreich lehnt das Auslieferungsbegehren ab.

  • 17. Jänner 2008: Kasachstan verurteilt Alijew in Abwesenheit wegen Entführung der Manager und stellt einen weiteren Auslieferungsantrag. Im März wird auch der Alijew-Vertraute, der Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussajew, in Abwesenheit zu 20 Jahren Straflager verurteilt.

  • Juli bis September 2008: drei gescheiterte Entführungsversuche gegen Mussajew und den Alijew-Leibwächter Vadim Koshlyak in Wien.

  • 10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst habe Abgeordnete beeinflusst, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bestätigt.

  • Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland.

  • 18. Mai 2011: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Alijews in Kasachstan werden die Leichen der Bankmanager gefunden.

  • 16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans ab.

  • Juli 2011: Die österreichischen Behörden beginnen Ermittlungen gegen Alijew wegen Mord- und Geldwäschevorwürfen. Alijew hält sich in Malta auf und nimmt den Namen seiner Frau, Shoraz, an.

  • März 2013: Alijew bzw. Shoraz erhebt in seinem Buch „Tatort Österreich“ Vorwürfe gegen Politiker. Als Helfershelfer Kasachstans werden Ex-Innenminister Karl Blecha, Ex-Parlamentarier Anton Gaal (beide SPÖ), Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner genannt.

  • 1. November 2013: Alijew – ursprünglich vertreten von Anwalt Wolfgang Brandstetter, dem späteren Justizminister, wird der österreichische Fremdenpass entzogen.

  • 19. Mai 2014: Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Haftbefehl.

  • 6. Juni 2014: Alijew wird festgenommen und kommt in U-Haft.

  • 30. Dezember 2014: Mordanklage wird eingebracht.

  • 24. Februar 2015: Alijew wird tot in seiner Zelle aufgefunden.

>> Ö1-Morgenjournal

(APA)

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