Mithäftling spricht: Was geschah mit Alijews Zellentür?

Archivbild: Die Türe jener Zelle, in der Rachat Alijew im Februar 2015 starb
Archivbild: Die Türe jener Zelle, in der Rachat Alijew im Februar 2015 starb(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Ein Häftling, der mit Ex-Botschafter Rachat Alijew im Gefängnis saß, berichtet nun von „Schlosserarbeiten“ an der Zellentür des tot aufgefundenen Kasachen.

Wien. Der Fall galt als abgeschlossen. Doch seit dem Vorliegen eines neuen Gutachtens, das den in Haft begangenen Suizid des kasachischen Ex-Botschafters Rachat Alijew praktisch ausschließt, tauchen weitere Ungereimtheiten auf. Ein Ex-Mithäftling von Alijew, ein gewisser M. (Name der Redaktion bekannt), erzählte am Dienstag vor Journalisten, das zwei Tage nach dem Tod des Ex-Diplomaten der gesamte Schließmechanismus der Zellentür ausgebaut worden sei.

Er habe diese „Schlosserarbeiten“ als einziger Häftling des Krankentraktes der Justizanstalt Wien-Josefstadt gesehen, da er gerade von einem Arztbesuch zurück in seinen eigenen Haftraum geführt worden sei. Dabei sei ihm aufgefallen, dass die Arbeiten an der an sich staatsanwaltlich versiegelten Türe durchgeführt worden seien. Alijew (52) starb am 24. Februar 2015 in seiner Zelle.

Nun sind diese Arbeiten an sich nicht mysteriös, da die Anwesenheit des Handwerkers in den Justizakten festgehalten wurde. Aber: Wie die früheren Alijew-Anwälte und nunmehrigen Rechtsvertreter der Witwe, Klaus und Manfred Ainedter, am Dienstag angaben, sei der Auftrag der Staatsanwaltschaft, ein Gutachten zum Schließmechanismus der Haftraumtüre einzuholen, erst Tage nach dem Einschreiten des Schlossers erfolgt. Daher solle nun im Zuge neuer Ermittlungen überprüft werden, ob der gutachterlich untersuchte Schließmechanismus nicht schon vorher verändert worden sei.

Wie berichtet hatte erst am Montag der bekannte deutsche Rechtsmediziner Bernd Brinkmann die offizielle Erklärung der Behörden zurückgewiesen, wonach Alijew in seiner U-Haft-Einzelzelle Suizid durch Erhängen mittels Mullbinde begangen habe. Laut Brinkmann habe es sich bei Alijew um eine „Tötung durch fremde Hand“ gehandelt. Alijew saß deshalb in U-Haft, weil er gemeinsam mit zwei Komplizen zwei kasachischen Bankmanager getötet haben soll. Er hatte dies immer bestritten.

Justizressort verweist auf Gutachten

Indes verweist nun das Justizministerium auf zwei schon länger vorliegende Gutachten: eines zur Videoüberwachungsanlage des Zellentraktes und eines zum elektronischen Protokollierungssystem der Zellentüre. Weder das eine noch das andere Gutachten habe Hinweise auf Manipulationen ergeben.

Insofern müsste ein (hypothetischer) Mörder nach einem besonders ausgeklügelten Plan vorgegangen sein, zudem hätte er Mittäter im Gefängnis gehabt haben müssen. Für all das gibt es aber keine Hinweise.

Indes ist das nach dem Tod sichergestellte Alijew-Tagebuch, in dem sich eine Passage findet, die man als Suizid-Ankündigung auffassen kann, mit Vorsicht zu sehen. Laut einem grafologischen Gutachten, das die Alijew-Anwälte einholten, seien einige Blätter „nicht einheitlich oder gleichzeitig beschriftet worden“.
Alijews Witwe will von Suizid definitiv nichts wissen. Und Ex-Mithäftling M. sagt dazu: „Alijew war sehr, sehr vorsichtig, er aß nur original verpackte Lebensmittel.“ Der Kasache habe stets Angst gehabt, dass man ihn ermorden könnte. M. wurde bis heute von der Justiz nicht einvernommen.

Erst Botschafter, dann Mordanklage

Chronologie. 2002 kam der Kasache Rachat Alijew als Botschafter nach Wien. 13 Jahre später starb er dort in einer Einzelzelle. Was dazwischen geschah, liest sich wie ein Krimi.

  • 2002: Rachat Alijew, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putschgerüchten als kasachischer Botschafter nach Wien geschickt.

  • 2005: Alijew kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.

  • 31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rachat Alijew.

  • 9. Februar 2007: Alijew kehrt kurz als Botschafter nach Wien zurück.

  • 23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Alijew wegen der Entführung der beiden Bankmanager starten.

  • 26. Mai 2007: Alijew wird als Botschafter abgesetzt. Nasarbajews Tochter Dariga reicht die Scheidung ein.

  • 28. Mai 2007: Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Alijew.

  • 30. Mai 2007: Auslieferungsantrag an Österreich wird gestellt.

  • 1. Juni 2007: Alijew wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in U-Haft genommen.

  • 8. August 2007: Österreich lehnt das Auslieferungsbegehren ab.

  • 17. Jänner 2008: Kasachstan verurteilt Alijew in Abwesenheit wegen Entführung der Manager und stellt einen weiteren Auslieferungsantrag. Im März wird auch der Alijew-Vertraute, der Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussajew, in Abwesenheit zu 20 Jahren Straflager verurteilt.

  • Juli bis September 2008: drei gescheiterte Entführungsversuche gegen Mussajew und den Alijew-Leibwächter Vadim Koshlyak in Wien.

  • 10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst habe Abgeordnete beeinflusst, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bestätigt.

  • Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland.

  • 18. Mai 2011: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Alijews in Kasachstan werden die Leichen der Bankmanager gefunden.

  • 16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans ab.

  • Juli 2011: Die österreichischen Behörden beginnen Ermittlungen gegen Alijew wegen Mord- und Geldwäschevorwürfen. Alijew hält sich in Malta auf und nimmt den Namen seiner Frau, Shoraz, an.

  • März 2013: Alijew bzw. Shoraz erhebt in seinem Buch „Tatort Österreich“ Vorwürfe gegen Politiker. Als Helfershelfer Kasachstans werden Ex-Innenminister Karl Blecha, Ex-Parlamentarier Anton Gaal (beide SPÖ), Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner genannt.

  • 1. November 2013: Alijew – ursprünglich vertreten von Anwalt Wolfgang Brandstetter, dem späteren Justizminister, wird der österreichische Fremdenpass entzogen.

  • 19. Mai 2014: Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Haftbefehl.

  • 6. Juni 2014: Alijew wird festgenommen und kommt in U-Haft.

  • 30. Dezember 2014: Mordanklage wird eingebracht.

  • 24. Februar 2015: Alijew wird tot in seiner Zelle aufgefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Dezember 2016)

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