Ein „Don Giovanni“ mit Punktesieg für die Damen

Lügenpresse? Von wegen. Lügner ist in diesem Fall Leser Don Giovanni (Nathan Gunn).
Lügenpresse? Von wegen. Lügner ist in diesem Fall Leser Don Giovanni (Nathan Gunn). (c) APA/WERNER KMETITSCH
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Das Mozarteum-Orchester unter Ivor Bolton präsentiert im Theater an der Wien einen idealen, so flüssigen wie hoch differenzierten Mozart. Keith Warners neu einstudierte Hotelinszenierung funktioniert weitgehend, und gerade in oft problematischen Partien wird erfreulich gesungen.

Was für eine undankbare Rolle! Man könnte allenfalls noch streiten, ob nicht die des personifizierten Waschlappens Don Ottavio noch undankbarer ist, wobei der immerhin eine ordentliche Arie – in „Don Giovanni“-Hybridfassungen umstrittenerweise sogar zwei – singen darf. Aber der Komtur? Seine Aufgabe ist es vor allem, tot zu sein, und in diesen Zustand wird er gleich zu Beginn versetzt. Erst ganz am Ende darf er seinerseits den Titelhelden ins Jenseits einladen. Ausgerechnet bei dieser Partie ist dem Theater an der Wien bei der Neueinstudierung der Keith-Warner-Inszenierung von 2006 ein Besetzungs-Coup gelungen: Mit Lars Woldt wurde für diese Rolle einmal ein Bass von gewaltiger Stimmkraft engagiert, der einem im Finale mit jeder Silbe kalte Schauer über den Rücken jagt.

Was er anlässlich Don Giovannis Höllenfahrt, Verzeihung, Herzinfarkt, aufbietet, ist wahrhaft furchterregend. Dagegen hat ein in Unehren gealterter Verführer keinen Auftrag, unter den vokalen Donnerschlägen Woldts kann man nur zusammenbrechen. Der Sog dieses Finales, das dank der Wiener Fassung auch ohne das entbehrliche Schluss-Sextett auskommt, wird noch gesteigert durch die Energie, mit der das Mozarteum-Orchester mit seinem ehemaligen Chef Ivor Bolton noch einmal alles an Farben und Intensität aufbietet. Wer hier die Augen schließt, bekommt überdeutlich und in krassesten Tönen mit, was passiert. Wie Don Giovanni seinen Glassarg mit Blut verziert, muss man dazu nicht sehen. Überhaupt verliert der Schluss durch die spontane Vergreisung der Protagonisten doch sehr an Biss. Dieser Don Giovanni wird nicht aus dem prallen Leben gerissen, er hat längst alles hinter sich und wäre vermutlich nur mehr unter Aufbietung größerer Mengen Viagra sexuell handlungsfähig. Sonst funktioniert Warners Regiekonzept, die Handlung in ein modernes Hotel zu verlegen – genug Betten für den Verführer, zwei Lifte für effektvolle Auf- und Abtritte – aber recht gut, auch dank ausgezeichneter Personenführung und bis ins kleinste Detail durchgearbeiteter Gestik. Nur gelegentlich kippt das Bühnengeschehen ins Überinszenierte, etwa bei der „Register-Arie“.

Ein Ottavio muss nicht gequält klingen

Die Akribie der Regie spiegelt sich in der Genauigkeit wider, mit der Bolton die Partitur belebt. Schon wie er bei den zwei ausrufezeichenartigen Akkorden zu Beginn der Ouvertüre die Bässe knorrig-düster nachklingen lässt, wie er die Einleitung mehr klagend, leidend als flüssig anlegt, zeigt: Da legt jemand größten Wert auf Zwischentöne. Auf engstem Raum passiert unglaublich viel, etwa in der Sterbeszene des Komturs, die selten in einer derartigen Ausdrucksdichte musiziert wird. Gleichzeitig ist Boltons Mozart von ungemein humaner Rhetorik in der Phrasierung – und humaner Lautstärke gegenüber den Sängern. Dass Nathan Gunn stimmlich nicht der kernigste Don Giovanni ist, fällt dadurch weniger ins Gewicht. Auch Jonathan Lemalus Leporello punktet weniger mit Volumen (wenn er etwa beim letzten „voi sapete quel che fa“ nicht wirklich übers Orchester ragt) als mit schöner Stimmführung. Saimir Pirgu, der kurzfristig für Martin Mitterrutzner als Don Ottavio einsprang, hat die nötigen Reserven in der Hinterhand, was auch an Stellen fühlbar wird, wo er sie gar nicht auszuspielen braucht. Er zeigt, dass ein Ottavio nicht immer gequält klingen muss. Sehr kräftig, wenn auch noch von ausbaufähiger farblicher Differenzierung, ist auch der Bass Tareq Nazmis als von der Regie teilweise arg zum Chargieren gezwungener Masetto. In Sachen Chargieren steht ihm Jennifer Larmore in nichts nach, die ihrer Donna Elvira ein gewöhnungsbedürftiges Vibrato angedeihen lässt und immer wieder schleppt. Überzeugend hingegen Mari Eriksmoen, mit ihrem hellen, wendigen Sopran eine ideale Zerlina, und vor allem Jane Archibald, die, was selten ist, alle Qualitäten einer Donna Anna mitbringt: den dramatischen Zugriff ebenso wie den Sinn für zarte Linienführung. Ein „Don Giovanni“ mit Punktesieg für die Damen.

Termine: in dieser Besetzung am 14., 17., 19., und 21. 12.; am 28. und 31. 12. mit Erwin Schrott als Don Giovanni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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