Kinderbeistände: Ein Segen, der zum Fluch werden kann

Wenn Beistände auf eigene Faust Partei für ihnen Anvertraute ergreifen.

Seit 2008 gibt es in Österreich Kinderbeistände, die – so die Ausgangsidee – Kinder in eskalierenden Sorgerechtsverfahren begleiten sollen. Man könnte sagen, eine ehrbare Einrichtung. Immerhin sollten sie die Sorgen der Kinder kennen und ihnen im „Aufteilungsprozess“ zwischen den streitenden Eltern Gehör verschaffen. Sollten! Denn in den meisten Fällen wird ein Brief erarbeitet, in dem die Kinder – auch wenn sie erst drei Jahre alt sind – ausführlich ihr Leiden schildern. Absurd? Egal, es braucht schließlich Pathos. Und offenbar keine Kontrolle.

So finden Gespräche mit dem betroffenen Kind unter vier Augen statt. Das Resultat ist der erwähnte Brief, der die angeblichen Wünsche des Kindes wiedergibt. Aus meiner Arbeit traue ich mich zu sagen: Das tut er nicht immer. So sind Fälle bekannt (und verifiziert), in denen das betroffene Kind gar keinen solchen Brief verfassen wollte, es auch keinen Brief diktiert, geschweige denn selbst geschrieben hat.

Trotzdem hat die zuständige Kinderbeiständin einen berührenden Brief des Kindes in Ich-Form verfasst und gezeichnet mit dessen Namen. Besonders pikant: Das Kind durfte diesen Brief vorab nicht einmal lesen.

Ein schaler Nachgeschmack

Ausnahmen sind freilich nicht die Regel – und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack – und breiten sich aus, betrachtet man die Angelegenheit etwas genauer: Der Kinderbeistand kann seitens des zuständigen Richters in Obsorge- und Kontaktrechtsstreitigkeiten bestellt werden. Das scheint nachvollziehbar. Kinderbeistände werden aus diversen Sozialberufen über die Justizbeschaffungsagentur rekrutiert und müssen einen einwöchigen Kurs absolvieren.

Das ist grundsätzlich auch plausibel, aber: Eine Ablehnung durch die Parteien ist de facto nicht möglich bzw. mit sehr geringen Erfolgsaussichten verbunden. Und die Kosten müssen von den betroffenen Eltern selbst getragen werden, die aber keinen Einfluss auf die Qualifikation der Person, die Anzahl und den Ort der Termine haben. In der Regel belaufen sich die Kosten für die Betroffenen im ersten halben Jahr auf 400 Euro pro Person und für die weiteren zwölf Monate Verfahrensdauer auf 250 Euro pro Person.

Zur Neutralität verpflichtet

Kontrolliert wird die Arbeit von Kinderbeiständen einzig durch die Justizbeschaffungsagentur. Das genügt nicht! Im geschilderten Fall ist nämlich nichts geschehen. Warum? Die Justizbeschaffungsagentur sah keinen Grund für Beanstandungen. Immerhin sei „der Kinderbeistand fachlich auch in Bezug auf seine Neutralität explizit ausgebildet und wird während seiner Tätigkeit diese auch bewahren“. Und: Kinderbeistände sind vertraglich verpflichtet, ihre Tätigkeit in Supervisionsgruppen mit Experten zu hinterfragen. Sie sind also immer neutral – auch wenn sie Kinderbriefe schreiben?

Andererseits werden den Beiständen weitreichende Rechte eingeräumt: Sie sind von Gesetzes wegen im Fall einer Ablehnung durch die Parteien einem Sachverständigen und somit letztendlich dem Richter gleichgestellt, was de facto bedeutet, dass es nahezu unmöglich ist, sie zu entheben. Darüber hinaus hat ein Kinderbeistand vollständige Akteneinsicht und muss vom Gericht über alle Termine verständigt werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die meisten – wenn schon nicht alle – sich ihrer Verantwortung bewusst sind, das Wohl des Kindes tatsächlich in den Fokus ihres Tuns stellen und nicht auf eigene Faust Partei ergreifen beziehungsweise angebliche Kinderbriefe zu tippen beginnen. Nur so kann aus dem Kinderbeistand ein Segen werden.

Margreth Tews ist Lebens- und Sozialberaterin und als Coach sowie Mediatorin tätig. Als Prozessbegleiterin ist sie vor allem bei Familienrechtsangelegenheiten aktiv.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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