Droht das Ende des Hausarztes?

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Wie die geplanten Primärversorgungszentren das Gesundheitssystem verändern sollen. Und warum die Ärztevertreter sich querlegen und für heute zum Streik aufrufen.

Wien. Wenn heute, Mittwoch, Ärzte in Wien, im Burgenland und in Kärnten ihre Praxen schließen, dann geht es auch um mehr Geld für das Gesundheitswesen. In erster Linie aber geht es den Medizinern darum, mit ihren Protestmaßnahmen einen Systemwechsel abzuwehren: Sie sehen in den geplanten Primärversorgungszentren eine Gefahr für das bisherige System des Hausarztes und warnen sowohl vor einer Verstaatlichung der Medizin – als auch vor deren Auslieferung an gewinnorientierte private Konzerne. Doch ist der Hausarzt tatsächlich in Gefahr?

1 Wie funktionieren die geplanten Primärversorgungszentren?

Die Idee ist, Spitäler und Ambulanzen zu entlasten, indem größere Einheiten im niedergelassenen Bereich geschaffen werden. Dabei sollen in jedem Zentrum zumindest drei Mediziner sowie Angehörige anderer Gesundheitsberufe zusammenarbeiten. Das können Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten oder auch Sozialarbeiter sein. Gesundheitsministerium und Sozialversicherung, die das Konzept forcieren, erhoffen sich dadurch vor allem zwei Vorteile: erstens patientenfreundliche Öffnungszeiten. Wenn mehrere Mediziner zusammenarbeiten, kann das Zentrum die ganze Woche offen haben, verstärkt auch am Abend, damit Patienten da nicht in Ambulanzen ausweichen müssen. Zweitens kann das Zentrum ein breiteres Leistungsspektrum anbieten. Welches das ist, hängt wiederum von regionalen Erfordernissen ab. Ein Sozialarbeiter kann sich beispielsweise um Patienten mit Drogenproblemen kümmern. Oder es gibt einen Pflegeschwerpunkt mit angestelltem Pflegepersonal.

2 Wie finanzieren sich diese neuen Primärversorgungszentren?

Derzeit wird über ein Gesetz verhandelt, das sich speziell mit dieser Frage beschäftigt. Es gibt ein Modellprojekt im sechsten Bezirk in Wien, bei dem die drei Ärzte nach dem normalen Leistungskatalog der Krankenkassen abrechnen und für den Mehraufwand des Zentrums eine pauschale Abgeltung von 210.000 Euro im Jahr erhalten. Die Krankenkassen wollen aber ein neues Finanzierungsmodell für diese Zentren. Dieses soll beispielsweise für einen Patienten mit einer chronischen Erkrankung eine dem Aufwand angepasste jährliche Pauschale erhalten. Und es soll eine zusätzliche Finanzierung durch Gemeinden und Bundesländer geben – etwa, wenn Aufgaben im Pflegebereich übernommen werden.

3 Sollen diese Zentren die Hausärzte völlig ersetzen?

Laut den Plänen von Regierung und Sozialversicherung nicht. Bis zum Jahr 2021 sind 75 Primärversorgungszentren in ganz Österreich geplant. Auch auf lange Sicht soll es ein Nebeneinander von Zentren und Hausärzten geben. Und die Zentren sollen – so zumindest die Absichtserklärung – in erster Linie von Hausärzten geführt werden. Wird eine neue Einrichtung geschaffen, so werden zuerst die bestehenden Kassenärzte in der Region gefragt, ob sie sich zusammenschließen wollen. Erst wenn das nicht zustande kommt, wird das Primärversorgungszentrum ausgeschrieben. Dann allerdings können sich auch kommerzielle Anbieter bewerben.

4 Warum kritisiert die Ärztekammer diese Pläne?

Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger nennt zwei Kritikpunkte: erstens die zentrale Planung durch die Gesundheitsbürokratie. Die Kammer sei durchaus dafür, dass Ärzte sich zu Gruppenpraxen zusammenschließen, das solle aber nicht von oben vorgegeben werden. Und zweitens wehrt er sich dagegen, dass Nichtärzte die Möglichkeit erhalten, derartige Zentren zu führen. Er hätte allerdings nichts dagegen, dass in einer Gruppenpraxis Ärzte andere Ärzte anstellen.

Etwas verwunderlich ist der Zeitpunkt der ärztlichen Protestmaßnahmen. Denn die Pläne für die Einrichtung von Primärversorgungszentren gibt es schon länger. Wenn das Parlament heute, Mittwoch, die 15a-Vereinbarung beschließt, wird da nur an kleinen Schräubchen gedreht. Kritiker der Ärztekammer vermuten einen Zusammenhang mit den Kammerwahlen im Frühjahr.

STREIKDATEN

Die Ärztekammer führt ihren Aktionstag am Mittwoch in Wien, in Kärnten und im Burgenland durch. Laut Hauptverband werden 290.000 Patienten von den geschlossenen Arztpraxen betroffen sein. Für Notfälle soll unter der Nummer 141 der Ärztefunkdienst erreichbar sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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