Schlecht bei Pisa: "Migranten sind nicht schuld"

Bifie-Direktorin: „Die zentrale Botschaft von Pisa ist: Es wird nicht besser.“
Bifie-Direktorin: „Die zentrale Botschaft von Pisa ist: Es wird nicht besser.“(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Von den besten Ländern könne man lernen – solange man nicht blauäugig versuche, sie zu kopieren, sagt Claudia Schreiner vom zuständigen Bifie-Institut. Kaputt machen würde Pisa nichts – es könne aber nicht das Maß aller Dinge sein.

Die Presse: Viele sind nach dem jüngsten Pisa-Ergebnis der Meinung: Pisa bringe vor allem Hysterie. Haben sie total unrecht?

Claudia Schreiner: Man muss die Kirche im Dorf lassen und Pisa so interpretieren, wie es gemeint ist. Es bringt uns substanzielle Aussagen über einige Bereiche, die wir sonst nicht hätten. Und leistet damit einen Beitrag, um die Diskussion über unser Schulsystem mit Daten und Fakten zu untermauern.

Sagt uns Pisa wirklich, ob unsere Schulen gut oder schlecht sind?

Pisa misst, wie gut es einem Schulsystem gelingt, Jugendliche mit grundlegenden Kompetenzen auszustatten, die international definiert worden sind: was sie können sollen, um sich dann weiterentwickeln zu können und um an einer modernen Gesellschaft teilhaben zu können.

Manche meinen, der Pisa-Test messe hauptsächlich, wie gut die Schüler beim Pisa-Test sind.

In den Aufgaben geht es darum, dass man Texte versteht, dass man Informationen findet, die nicht offensichtlich sind, dass man grundlegende mathematische Werkzeuge anwendet. Wenn ein Jugendlicher einen Handyvertrag unterschreibt, sollte er verstehen, was im Kleingedruckten steht oder sich ausrechnen können, welche Kombination von Grundgebühr, Telefongebühr und Datenpaket die günstigste ist. Das sind Dinge, die man für den Alltag braucht, und zwar für sich, nicht für jemand anderen.

Verglichen werden Schüler aus so verschiedenen Ländern wie Österreich, Singapur oder Mexiko. Was sagt die Bestenliste aus?

Der Fokus auf die Bestenliste und auf Rangplätze ist sehr beliebt, weil er einfach ist. Aber das unterschätzt, was Pisa an Informationen hat. Ob wir 17. oder 20. sind, ist keine besonders relevante Information. Zu wissen, dass 20 Prozent der Jugendlichen grundlegende Lesekompetenzen fehlen, sehr wohl.

Österreich war nie besonders gut bei Pisa, hat sich zwischendurch kurz verbessert und jetzt wieder verschlechtert. Was sagt uns das über die Bildungspolitik?

Österreich liegt relativ unauffällig im Bereich des OECD-Schnitts, einmal ein bisschen besser, einmal ein bisschen schlechter. Es hat vergleichsweise viele Risikoschüler, wenige Spitzenschüler, es schöpft sein Potenzial nicht aus. Klar zu sehen ist: Über die vergangenen 15 Jahre hat sich wenig getan.

Manche meinen, dass Österreich gar nicht schlechter geworden sei, sondern dass die neue Pisa-Testung am Computer schuld sei.

Man kann jetzt darüber streiten, ob der Vergleich der Punktewerte zwischen 2012 und 2015 methodisch beeinflusst ist oder nicht. Ich halte es für irrelevant. Die zentrale Botschaft von Pisa 2015 ist nicht: Wir sind schlechter geworden. Sondern eigentlich: Es wird nicht besser.

Immer wieder hört man, Österreich schneide bei Pisa nur wegen der vielen Schüler mit Migrationshintergrund so schlecht ab. Ist da etwas dran?

Ein Land muss mit den Rahmenbedingungen arbeiten, die es hat. Das sind in Österreich derzeit 20 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund. In den vergangenen 15 Jahren seit dem ersten Pisa-Test ist die Differenz zwischen den Kindern mit und ohne Migrationshintergrund kleiner geworden, obwohl der Anteil der Schüler mit ausländischen Wurzeln steigt. Wenn man jetzt die explizite Frage stellt, ob die Jugendlichen mit Migrationshintergrund am mittelmäßigen Abschneiden Österreichs schuld sind, muss man ganz klar sagen: Nein.

Woran sieht man das?

Wenn wir die Länder nur anhand der Pisa-Ergebnisse der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund vergleichen, ändert sich an der internationalen Positionierung Österreich praktisch nichts. Es gibt ganz kleine Vertauschungen. Aber im Prinzip sind wir auch dann noch immer dort, wo wir vorher waren: ungefähr im Durchschnitt.

Sie haben einmal gesagt, die Pisa-Studie könne nicht die Hintergründe für das Leistungsniveau der Schüler zeigen. Pisa sagt also nicht, was die Ursachen sind.

Pisa zeigt uns, wo wir ungefähr stehen. Es zeigt uns auch, wie manche Kontextfaktoren mit Leistung zusammenhängen. Aber eine Studie, die zu einem Zeitpunkt eine Stichprobe überprüft, kann keine Ursachenanalyse betreiben.

Das heißt aber, Pisa kann uns auch nicht sagen, welche Maßnahmen man treffen muss.

Daten und Fakten über ein System zeigen nie automatisch, welche Maßnahmen abzuleiten sind. Man hat eine bessere Ausgangsbasis für die Überlegungen, die man dann anstellen muss. Aber Pisa sagt einem nicht ohne entsprechende Übersetzungsleistungen, was man zu tun hat.

Dass in den vergangenen Jahren alle ins Pisa-Siegerland Finnland gepilgert sind, um sich anzuschauen, wie man nach diesem Vorbild das Schulsystem verbessern kann, war also Unsinn?

Sich andere Länder anzuschauen, um daraus zu lernen, was sie anders machen und wie sie es schaffen, ihre Potenziale besser auszuschöpfen, ist sinnvoll. Man darf das nur nicht blauäugig tun. Das finnische System zu kopieren würde nicht funktionieren, weil man damit den Kontext ignoriert.

Kann man dann überhaupt so argumentieren wie Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ)? Sie sagt, dass die erfolgreichen Pisa-Länder mehr Schulautonomie und Ganztagsschulen haben, sei der Beweis, dass das die richtigen Maßnahmen seien.

Wenn viele gute Länder Ähnlichkeiten haben und man das mit anderen Forschungsergebnissen kombiniert, kann man daraus schon ableiten, dass das Maßnahmen sind, die Potenzial haben, wenn sie richtig umgesetzt sind. Sie deshalb ernsthaft in Betracht zu ziehen ist durchaus legitim.

Experten kritisierten auch, dass es Schulsystemen schaden könne, wenn sie alle mit einem engen, einheitlichen Maßstab wie Pisa gemessen werden. Kann Pisa Kollateralschäden verursachen?

Glauben Sie wirklich, dass es ein Schulsystem beschädigt, wenn man danach strebt, dass Jugendliche sinnerfassend lesen lernen, mathematische Modelle anwenden können und ein naturwissenschaftliches Grundverständnis haben?

Manche sagen: Es zählen dann nur noch wirtschaftlich verwertbare Bereiche, nur noch die sogenannten Kompetenzen. Und das würde viel kaputt machen.

Was macht das kaputt, wenn man etwa darauf schaut, dass Jugendliche entsprechende Lesekompetenzen erwerben? Das ist doch nichts, was man nur wirtschaftlich braucht. Wenn etwas problematisch ist, dann ist es höchstens der Umgang mit Pisa-Ergebnissen.

Was wäre gefährlich?

Sich als Ziel zu setzen, bei Pisa gut abzuschneiden, wäre der falsche Zugang. Pisa kann nicht das Maß aller Dinge sein. Es braucht schon eigene Ziele und Werte, die wir für die Interpretation der Ergebnisse heranziehen.

ZUR PERSON

Claudia Schreiner ist neben Jürgen Horschinegg seit 2014 Direktorin des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung (Bifie), das für die Durchführung des Pisa-Tests in Österreich zuständig ist. Jüngstes Pisa-Ergebnis: Österreich liegt etwa im OECD-Mittel. 23 Prozent der 15-jährigen Schüler können nicht ordentlich lesen, 22 Prozent nicht ordentlich rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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