Europas Satellitennavigation Galileo ist (fast) fertig

Visualisierung eines Galileo-Satelliten
Visualisierung eines Galileo-SatellitenOHB / ESA
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Nach jahrelanger Verzögerung hat Europa endlich eigene „Steuermänner“ am Himmel. Sie sollen zumindest präziser sein als die entsprechenden Navi-Systeme der USA (GPS), Russlands (Glonass) und Chinas (Beidou).

Prag/Paris/Brüssel. Nach jahrelanger Verzögerung ist es seit gestern, Donnerstag, so weit: Das von der Weltraumagentur ESA und der EU entwickelte und finanzierte Satellitennavigationssystem Galileo hat den Betrieb aufgenommen – jedenfalls in einer ersten, von Leistung und Empfängerkreis her noch etwas eingeschränkten Stufe. Das gaben die ESA und die EU-Kommission, der formale Eigentümer Galileos, bekannt.

Europa hat in dem Technologiefeld damit zwar die rote Laterne: Immerhin ist das ursprünglich militärische System GPS der USA seit Ende der 1990er zivil nutzbar, das russische Glonass (nach einer ersten Bereitschaft Mitte der 1990er) seit 2011. Auch Chinas Beidou funktioniert seit 2011, vorerst aber nur im Großraum Asien/Pazifik. Allerdings ist die Basispräzision der Ortsbestimmung mittels Galileo-Satelliten – also ohne Zuhilfenahme technischer Zusatz- bzw. Verstärkersysteme – mit vier Metern größer (GPS: fünf bis 20 Meter); mit Verstärkern kommt man, so wie bei GPS, bis unter zwei Meter, ja in den Zentimeterbereich hinab.

„Ein fantastisches System“

ESA-Generaldirektor Jan Wörner, ein Deutscher, sagte, dass Europas Industrie stolz sein könne, das „fantastische System“ erschaffen zu haben. Paul Verhoef, niederländischer Chef des Galileo-Programms in der ESA, ergänzte, dass aber noch viel zu tun sei, bis Galileo frühestens 2018 komplett ist. So seien bisher erst 18 der letztlich 24 Satelliten (plus mindestens drei Reservesatelliten, falls es Ausfälle gibt) in ihren Orbits in rund 23.250 Kilometern Höhe (Umlaufzeit: 14 Stunden). Immerhin stünden aber jetzt drei Dienste offen: Der Open Service für jedermann, der ein Galileo-taugliches Empfangsgerät besitzt (etwa Smartphone oder Navi); der Not- und Rettungsdienst für Institutionen und Unternehmen sicherheitskritischer Bereiche wie der Luft- und Seefahrt, dort soll Galileo die Reaktionszeit auf Notrufe von Schiffen oder aus abgelegenen Regionen von jetzt bis zu drei Stunden auf zehn Minuten senken; und es gibt noch einen besonders präzisen Dienst exklusiv für hoheitliche Behörden inklusive des Militärs. Ein vierter, kostenpflichtiger Sonderdienst für Firmen wird folgen.

Die breite Öffentlichkeit wird von Galileo indes de facto erst innerhalb einiger Monate bis Jahre profitieren, weil kompatible Chips und Endgeräte weitgehend erst in Produktion sind – laut ESA durch weltweit 17 Firmen, die 95 Prozent des Weltmarkts für Satellitennavigation beherrschen. Laut einer offiziellen Homepage des kommerziellen Betreibers, der in Prag angesiedelten Galileo-Agentur, sind vorerst etwa nur das Smartphone "Aquaris X5 Plus" des spanischen Herstellers BQ und das "Mate 9" just der chinesischen Kollegen von Huawei kompatibel, daneben gibt es Nachrüst-Chipsets.

Es gibt eine Reihe von Kfz-Navis, die Galileo "verstehen", aber die meisten davon sind fix installierte Systeme, unter den Tragbaren finden sich aktuell nur Apparate von Tomtom. Besser sieht es mit Endgeräten etwa für die Schifffahrt aus. Ab 2019 müssen alle in der EU neu verkauften Lkw Galileo-taugliche "intelligente" Fahrtenschreiber haben. Straßenmautbetreiber in Deutschland, Belgien, Ungarn und der Slowakei haben bereits für Galileo taugliche automatische Mautsysteme. 

Die USA schossen lang quer

Galileo hatte einen schweren Start: Das Projekt war Ende der 1990er angedacht und 2003 finanziell angeschoben worden. Doch die Betreiber verhedderten sich in finanziellen und unternehmerischen Problemen, dazu kamen solche der Politik: Die USA fürchteten aus technischen Gründen (das zivile Frequenzband von Galileo überlappt sich mit dem militärischen Band von GPS), dass eine absichtliche Störung Galileos durch Störsender auch GPS beeinträchtigen werde. Im Übrigen fürchtete Washington um die technologische Führerschaft. Man hat das Problem 2004 gelöst, die Sache ist kompliziert, jedenfalls lässt sich nun das zivile Galileo ohne Einfluss auf das militärische GPS stören. Kritiker meinen, damit hätten sich im Grunde die USA sozusagen eine Interventionsmöglichkeit offengehalten.

Die Kosten stiegen deutlich, bis 2020 dürften es etwas älteren Schätzungen zufolge etwa 5,3 Milliarden Euro sein; zuletzt war sogar von zehn Milliarden die Rede, das Budget für Galileo samt Begleitprojekten ist seitens der EU überhaupt auf effektiv bis zu 13 Milliarden Euro ausgeweitet worden. Dem stehe aber ein weit höherer kommerzieller, staatlicher und mitunter in Geld schlecht bis gar nicht messbarer Nutzen gegebnüber, heißt es.

Der ursprüngliche Plan, schon 2008 fertig zu sein, ging jedenfalls nicht auf, erst 2011 wurden die ersten diensttauglichen Satelliten gestartet, Nummer 15 bis 18 folgten diesen November. Jeder der in Deutschland gebauten Satelliten mit extrem präzisen Atomuhren (sie ticken im Zehn-Milliardstel-Sekunden-Takt, um die hohe Signalgenauigkeit auf der Erde zu ermöglichen) ist in Folge eines Malwettbewerbs für Kinder übrigens nach den Vornamen der Sieger aus den EU-Staaten benannt. Satellit Nummer 19, der im August 2017 platziert wird, ist demnach sozusagen österreichisch – und heißt Nicole. (wg)

FAKTEN

Satellitennavigation basiert simpel gesagt darauf, dass Satelliten durch exakt gleichförmige Funksignale ihre Uhrzeit- und Positionsdaten zur Erde senden. Ein Empfänger, der Signale von mindestens vier solcher Satelliten zugleich registriert, kann daraus die minimal unterschiedlichen Signallaufzeiten errechnen und daraus wiederum seine eigene Position auf der Erdoberfläche samt Höhenangabe bestimmen. Das erste System dieser Art war in den 1960ern Transit der US Navy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2016)

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