In der nordsyrischen Metropole Aleppo brachen am Freitag erneut Schießereien aus. Tausende Menschen sitzen nach wie vor in den zerstörten Rebellenvierteln fest.
Kairo/Aleppo. Der Abtransport der Menschen aus der Rebellenenklave in Ostaleppo wurde am Freitag nach 24 Stunden zunächst gestoppt. Zuvor hatten Bewaffnete einen Konvoi durch Gewehrfeuer an der Weiterfahrt gehindert. Syriens Regierung und Gegner des Assad-Regimes beschuldigten einander, auf die Busse und Krankenwagen geschossen zu haben.
„Die Evakuierung ist beendet“, erklärte kurz darauf das russische Verteidigungsministerium in Moskau, dessen Soldaten den Einsatz überwachen. Mehr als 4500 Rebellenkämpfer und 337 Verwundete seien aus der Stadt gebracht worden, sagte ein Sprecher. Insgesamt seien mehr als 9500 Zivilisten abtransportiert worden – alle, die das gewollt hätten.
Der türkische Außenminister, dessen Regierung mit dem Kreml den Evakuierungsplan ausgehandelt hatte, widersprach vehement und erklärte, viele Familien warteten noch darauf, hinausgefahren zu werden. Auf Anordnung russischer Truppen jedoch mussten am Freitag alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Ostaleppo verlassen. „Ich habe noch nie ein solches Ausmaß an menschlichem Leid gesehen“, berichtete die Leiterin der Syrienmission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Marianne Gasser. „Es ist schwer zu fassen, wie Menschen so etwas überleben konnten.“ Männer, Frauen und Kinder übernachten bei eiskaltem und regnerischem Wetter in den Trümmern, die meisten haben seit Tagen nichts gegessen. Andere hausen zu Hunderten in Ruinen oder ausgebrannten Fabrikhallen.
Warnung des UN-Gesandten
Weltweit wächst nun die Befürchtung, das Regime in Damaskus könnte nach dem Abzug der Rebellen Rache nehmen an der noch verbliebenen Zivilbevölkerung. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, warnte, 50.000 Menschen seien nach wie vor in der Enklave eingeschlossen, wo es keine Krankenhäuser mehr gebe. Ankara geht sogar von 80.000 bis 100.000 Menschen aus.
US-Außenminister John Kerry warnte, Aleppo dürfe nicht zu einem zweiten Srebrenica werden, jener bosnischen Stadt, in der 1995 über 8000 Männer von serbischen Milizen ermordet wurden. Frankreich Präsident, François Hollande, forderte, internationale Beobachter sollten den Abtransport der Menschen überwachen und die noch Wartenden mit Lebensmitteln versorgen. Aus Kreisen des syrischen Regimes hieß es, die Evakuierung sei unterbrochen, aber nicht abgebrochen. Rebellen hätten versucht, schwere Waffen und Gefangene aus der Enklave zu schmuggeln.
Zudem gibt es offenbar Probleme bei der parallel laufenden Evakuierung der schiitischen Dörfer Al-Foua und Kefraya im Nordwesten Syriens, die der Iran gefordert hatte. Hier blockieren sunnitische Rebellen den Hilfskonvoi. In beiden Ortschaften sind seit September 2015 etwa 20.000 Menschen von Rebellen eingeschlossen. Entkommene berichteten, die Bewohner äßen Gras, und operiert werde teilweise ohne Narkose.
Russland plant Verhandlungen
Unterdessen kündigte Wladimir Putin an, er verhandle derzeit direkt mit dem Regime und Kräften der bewaffneten Opposition über einen Waffenstillstand in ganz Syrien. Der russische Präsident will zusammen mit dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, Ende Dezember einen eigenen Syriengipfel einberufen, möglicherweise in Astana, der Hauptstadt Kasachstans.
In einer ersten Reaktion erklärte einer der zentralen Verhandlungsführer der syrischen Opposition, der Ex-Premierminister Riyad Hijab, man sei zur Teilnahme bereit, „wenn es einen echten Willen gibt für eine wirkliche politische Lösung sowie die Bildung einer Übergangsregierung, die alle exekutiven Vollmachten hat“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)